BERLIN (dpa) — Bereits lange vor Ukrai­ne-Krieg und Energie­preis­kri­se hat sich die Koali­ti­on eine Abkehr von Hartz IV vorge­nom­men. Nun soll es so weit sein. Aus Sicht der Union geht die Reform in die ganz falsche Richtung.

Koali­ti­on und Opposi­ti­on haben sich im Bundes­tag einen hefti­gen Schlag­ab­tausch über das geplan­te Bürger­geld gelie­fert. Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) sagte am Donners­tag bei der ersten Beratung über die Reform: «Die Einfüh­rung des Bürger­gelds zum 1. Januar wird eine der größten Sozial­re­for­men seit 20 Jahren sein.» Die Union kriti­sier­te, die Ampel wolle künftig darauf verzich­ten, Langzeit­ar­beits­lo­se zu aktivieren.

«Wir wollen Menschen verläss­lich absichern, die in existen­zi­el­le Not geraten sind», sagte Heil. Das Bürger­geld solle zudem dafür sorgen, dass Betrof­fe­ne dauer­haft aus der Not wieder herauskommen.

Mit dem Bürger­geld will die Ampel­ko­ali­ti­on zum 1. Januar kommen­den Jahres das Hartz-IV-System für die mehr als fünf Millio­nen Betrof­fe­nen in seiner heuti­gen Form ablösen. Es war schon vor dem russi­schen Angriffs­krieg in der Ukrai­ne das zentra­le sozial­po­li­ti­sche Verspre­chen der Ampel-Koali­ti­on. Mit ihrem dritten Entlas­tungs­pa­ket Anfang Septem­ber hatten SPD, Grüne und FDP zudem beschlos­sen, dass die Regel­sät­ze der Grund­si­che­rung um 50 Euro steigen sollen. Etwa für allein­ste­hen­de Erwach­se­ne steigt er 2023 von 449 auf 502 Euro. Künftig soll der Bedarf voraus­schau­end an die Teuerungs­ra­ten angepasst werden.

Generell sollen sich die Leistungs­be­rech­tig­ten künftig besser auf die Arbeit­su­che konzen­trie­ren können. Deshalb sollen in den ersten zwei Jahren des Bürger­geld­be­zugs die Kosten für Unter­kunft und Heizung in tatsäch­li­cher Höhe übernom­men werden. Vermö­gen werde nicht berück­sich­tigt, sofern es nicht erheb­lich ist. Jobcen­ter und Betrof­fe­ne sollen Koope­ra­ti­ons­plan aufstel­len. Die Zusam­men­ar­beit soll auf Augen­hö­he stattfinden.

«Es ist gut, dass wir Hartz IV endlich überwin­den», sagte die Grünen-Arbeits­markt­po­li­ti­ke­rin Beate Müller-Gemme­ke. Heil sagte, als die Hartz-Geset­ze auf den Weg gebracht worden seien, habe Massen­ar­beits­lo­sig­keit geherrscht. Heute gebe es in Deutsch­land Fachkräf­te­man­gel. Bisher seien Langzeit­ar­beits­lo­sen aber oft mit Hilfs­tä­tig­kei­ten über Wasser gehal­ten worden. «Wir wollen den Menschen die Möglich­keit schaf­fen, einen Berufs­ab­schluss nachzu­ho­len», so Heil.

Kritik von der Opposition

«Eine verpass­te Chance» nannte der CSU-Arbeits­markt­ex­per­te Stephan Stracke die Reform. «Das Bürger­geld geht komplett in die falsche Richtung.» Es forde­re und förde­re die Menschen zu wenig. Der CDU-Arbeits­markt­ex­per­te Kai Whittaker sagte: «Bei diesem Bürger­geld stehen nicht die Menschen im Mittel­punkt, sondern die Hartz-IV-Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung der SPD – Sie wollen die Menschen ruhig­stel­len, anstatt sie zu aktivie­ren.» Minuti­ös werde festge­legt, «was der Jobcen­ter-Mitar­bei­ter in der Vertrau­ens­zeit alles nicht darf», kriti­sier­te Whittaker.

Die AfD-Abgeord­ne­te Gerrit Huy sagte: «Es ist nichts anderes als ein aufge­weich­tes Hartz IV — und das hat schon nicht funktio­niert.» Jessi­ca Tatti von der Linken hinge­gen meinte, es hande­le sich um die erste Hartz-Reform, die nicht alles schlim­mer mache. Es sei aber keine Überwin­dung von Hartz IV. Nötig wäre laut Tatti unter anderem eine Geldleis­tung, «die für ein angst­frei­es Leben ausreicht».

Die Bürger­geld-Reform wird nun zunächst weiter in den Ausschüs­sen des Bundes­tags beraten. Auf der Tages­ord­nung des Plenums standen am Donners­tag auch noch die ersten Beratun­gen zur geplan­ten Wohngeld­re­form sowie zur Energie­preis­pau­scha­le für Rentne­rin­nen und Rentner.