Verwahr­lost und unter­ernährt — die mutmaß­li­chen Missstän­de in der Senio­ren­re­si­denz Schlier­see erschüt­tern auch Patien­ten­schüt­zer. Sie warnen vor einer Verschär­fung der Lage in der Pandemie.

SCHLIERSEE (dpa/lby) — Die Stiftung Patien­ten­schutz fordert angesichts mutmaß­lich massi­ver Vernach­läs­si­gun­gen von Bewoh­nern in einem oberbaye­ri­schen Senio­ren­heim gesetz­li­che Haftungs­re­ge­lun­gen. Anders als bei Produk­ten, für die der Herstel­ler die Mangel­frei­heit bewei­sen müsse, gebe es dies für Pflege­leis­tun­gen in Deutsch­land nicht, sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Es fehle ein Dienstleistungshaftpflichtgesetz.

Brysch warnte zudem vor den Folgen von Besuchs­be­schrän­kun­gen in der Pande­mie. «Ohne sponta­ne Angehö­ri­gen­be­su­che, Überprü­fun­gen des Medizi­ni­schen Diens­tes und Kontrol­len der Heimauf­sich­ten und Gesund­heits­äm­ter werden jetzt die 12 000 Pflege­hei­me vollends zur Black­box.» Die Stiftung Patien­ten­schutz fordert seit länge­rem mehr Öffnun­gen für Pflege­hei­me als von Bund und Ländern beschlossen.

In der Senio­ren­re­si­denz Schlier­see sollen Bewoh­ner über Monate völlig unzurei­chend betreut worden sein. Die Staats­an­walt­schaft München II ermit­telt wegen Verdachts auf Körper­ver­let­zungs­de­lik­te bei 88 Bewoh­nern. Es habe in dem Heim verwahr­los­te und unter­ernähr­te Menschen gegeben, berich­te­te eine Spreche­rin der Ankla­ge­be­hör­de. Geprüft werde nun, wer hierfür verant­wort­lich gewesen sei. Zudem würden 17 Todes­fäl­le unter­sucht; es gehe zunächst darum, die Todes­ur­sa­che festzustellen.

Trotz der Vorwür­fe wurde das Heim nicht geschlos­sen. Brysch sagte, der Fall in Schlier­see zeige exempla­risch, wie schwer sich Aufsichts­be­hör­den und Staats­an­walt­schaf­ten bei Abhil­fe und Aufklä­rung tun. «Heimbe­trei­ber wissen das meist sehr genau. Denn es muss schon viel passie­ren, bis die Heimauf­sich­ten in den Kommu­nen mit Teil- und Komplett­schlie­ßun­gen drohen.» Schließ­lich hätten die örtli­chen Behör­den die Folgen im Blick. «Es gilt zu klären, wo die Pflege­heim­be­woh­ner sonst unter­kom­men. Auch ist offen, wer die Mehrkos­ten für die Unter­brin­gung trägt», sagte der Patientenschützer.

Noch stärker wirke aber, ob die Bewei­se für die Missstän­de hieb- und stich­fest sind. «Denn sonst droht Schadens­er­satz, der schnell in die Millio­nen gehen kann. Zudem verste­hen es Heimbe­trei­ber, durch schnel­le Träger­wech­sel die Verant­wort­lich­keit zu verschlei­ern. Genau diese Komple­xi­tät hemmt effek­ti­ve Kontrolle.»