STUTTGART (dpa/lsw) — Was für eine Heraus­for­de­rung: Im Autoland Baden-Württem­berg sollen die Treib­haus­ga­se im Verkehr bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden. Der grüne Minis­ter schmie­de­te deshalb weitrei­chen­de Pläne. Doch dann kam das Stoppschild.

Baden-Württem­bergs Verkehrs­mi­nis­ter Winfried Hermann droht mit seinen Plänen für eine baldi­ge Mobili­täts­wen­de an Geldman­gel und fehlen­der Unter­stüt­zung in der grün-schwar­zen Koali­ti­on zu schei­tern. Auf Druck der CDU musste Hermann seine ehrgei­zi­gen Ziele in den Eckpunk­ten zum Landes­kon­zept Mobili­tät und Klima deutlich abschwä­chen, wie die Deutsche Presse-Agentur in Stutt­gart erfuhr. So wollte der Grünen-Politi­ker die Ziele «jedes zweite Auto fährt klima­neu­tral» bis 2030 und «jede zweite Tonne fährt klima­neu­tral» im Güter­ver­kehr im Konzept unter­brin­gen. Außer­dem drang Hermann darauf, die Vorga­be «ein Fünftel weniger Kfz-Verkehr in Stadt und Land» in dem Papier zu veran­kern — vergeblich.

Hermann bräuch­te viel Geld für die «Mobili­täts­ga­ran­tie»

Um seine Klima­zie­le zu errei­chen, müsste das Land die Treib­haus­ga­se im Verkehr inner­halb von sieben Jahren um 55 Prozent verrin­gern. Zuletzt sind die CO2-Emissio­nen im Verkehr aber sogar gestie­gen. Zwar hat Hermann am Freitag ein Bündel von Maßnah­men vorge­stellt, um den Umstieg auf Busse und Bahnen voran­zu­brin­gen. Doch die Verkehrs­wen­de gerät auch deshalb in Gefahr, weil der Verkehrs­mi­nis­ter nicht das nötige Geld bekommt. Im Doppel­haus­halt 2023/2024 ist — nach jetzi­gem Stand — die notwen­di­ge Anschub­fi­nan­zie­rung für die sogenann­te Mobili­täts­ga­ran­tie nicht enthal­ten. Dem Verneh­men nach wären etwa 120 Millio­nen Euro im Jahr nötig, um Hermanns Pläne für einen massi­ven Ausbau des Öffent­li­chen Nahver­kehrs auch auf dem Land wie geplant bis 2026 voran­zu­brin­gen. Hinter­grund ist aller­dings auch, dass das Land das 49-Euro-Ticket im Regio­nal­ver­kehr mitfi­nan­zie­ren muss.

SPD: Kretsch­mann schaut desin­ter­es­siert zu

Klima­schüt­zer und die SPD-Opposi­ti­on kriti­sie­ren den Kurs der grün-schwar­zen Koali­ti­on in der Verkehrs­po­li­tik. «Wenn das Land noch nicht einmal überprüf­ba­re Ziele benennt, kann niemand daraus wirksa­me Maßnah­men entwi­ckeln», sagte BUND-Landes­chefin Sylvia Pilars­ky-Grosch der dpa. Für die SPD sagte Hans-Peter Storz: «Wer die Zahl der Fahrgäs­te in Bussen und Bahnen verdop­peln will, müsste irgend­wann damit anfan­gen, mehr Züge zu bestel­len und die Verkehrs­ver­bün­de in die Lage zu verset­zen, mehr Busse zu beschaf­fen.» Doch Hermann bekom­me vom grünen Finanz­mi­nis­ter Danyal Bayaz nicht das nötige Geld und die CDU verwäs­se­re die Zielvor­ga­ben. «Und der Minis­ter­prä­si­dent schaut desin­ter­es­siert zu», monier­te Storz mit Blick auf Winfried Kretsch­mann (Grüne).

Verkehrs­mi­nis­ter gibt sich unbeirrt

Hermann selbst will an seinen ehrgei­zi­gen Zielen festhal­ten und sie weiter­ver­fol­gen. In den Eckpunk­ten, die auch mit den Kommu­nen abgestimmt wurden, stehe nun «Mehr Autos fahren klima­neu­tral», diese Vorga­be werde mit vielen Maßnah­men hinter­legt — etwa mit dem Ausbau der Ladeinfra­struk­tur für E‑Autos, sagte ein Sprecher der dpa. Gleiches gelte für die Ziele «Mehr Tonnen werden klima­neu­tral beför­dert» und «Weniger Kfz-Verkehr in den Kommu­nen». Die Mobili­täts­ga­ran­tie sei eines der wichtigs­ten Vorha­ben im Verkehrs­be­reich und habe «Leitbild­cha­rak­ter». Zur Finan­zie­rung wollte sich das Minis­te­ri­um nicht äußern, «da die Haushalts­be­ra­tun­gen im Landtag noch nicht abgeschlos­sen sind».

Was ist eigent­lich diese Mobilitätsgarantie?

Die im Koali­ti­ons­ver­trag geplan­te «Mobili­täts­ga­ran­tie» sieht vor, dass alle Orte im Südwes­ten von 5.00 Uhr früh bis Mitter­nacht mit dem ÖPNV erreich­bar sein sollen. Eigent­lich will das Land es bis 2026 schaf­fen, dass im ländli­chen Raum in den Haupt­ver­kehrs­zei­ten der Halbstun­den­takt gilt und im Ballungs­raum der Viertel­stun­den­takt. In der zweiten Stufe bis 2030 soll dann den ganzen Tag gelten, dass im Ballungs­raum der Viertel­stun­den­takt gemacht wird und im ländli­chen Raum der Halbstun­den­takt. Um das Vorha­ben zu finan­zie­ren, will Hermann unter anderem den Kommu­nen die Möglich­keit geben, eine Nahver­kehrs­ab­ga­be einzu­füh­ren. Dann könnten die Kommu­nen entschei­den, ob sie alle Einwoh­ner oder nur die Autofah­rer zur Kasse bitten.

Der SPD-Verkehrs­exper­te Storz monier­te, die Mobili­täts­ga­ran­tie sei vom festen Ziel zur «unver­bind­li­chen Wunsch­vor­stel­lung» geschrumpft. Er kündig­te an, dass die SPD in den Etatbe­ra­tun­gen 100 Millio­nen Euro als Anschub­fi­nan­zie­rung für die Mobili­täts­ga­ran­tie fordern werde. «Der Doppel­haus­halt gibt Hermann keine Möglich­kei­ten, seine Mobili­täts­zie­le nur ansatz­wei­se umzusetzen.»

Kritik an Kretsch­manns Strategiedialog

BUND-Landes­chefin Pilars­ky-Grosch kriti­sier­te auch die Ausrich­tung des Strate­gie­dia­logs Automo­bil­wirt­schaft, den Kretsch­mann an diesem Mittwoch in Brüssel veran­stal­tet. «Trans­for­ma­ti­on und Innova­ti­on sollen im Fokus stehen und die Automo­bil­wirt­schaft wird als Leitin­dus­trie für Europa benannt. Eine Diskus­si­on darüber, wie sich die Mobili­tät weltweit entwi­ckeln muss, um den Anfor­de­run­gen des Klima­schut­zes zu genügen, ist nicht geplant.» Es müsse aber auch beim Strate­gie­dia­log darüber geredet werden, «dass ein Wechsel des Antrieb­sys­tems allein nicht genügen wird».