Wer kann sich wann impfen lassen? In Zeiten der Corona-Pande­mie ist das eine Entschei­dung mit weitrei­chen­den Konse­quen­zen. Trotz­dem herrscht in der Bevöl­ke­rung noch eine gewis­se Ratlo­sig­keit. Und auch die Verant­wort­li­chen haben noch nicht alles geklärt.

«Seit Monaten hören wir aus dem Kanzler­amt und von den Minis­ter­prä­si­den­ten, dass im Winter eine zweite Welle zu erwar­ten sei und dass es dann alsbald mit dem Impfen losge­hen werde, trotz­dem wurden für beides praktisch kaum Vorbe­rei­tun­gen getrof­fen», kriti­sier­te der stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de der FDP-Bundes­tags­frak­ti­on, Stephan Thomae.

«Man hätte längst ohnehin leerste­hen­de Veran­stal­tungs­or­te als Impfzen­ten herrich­ten, zusätz­li­ches Perso­nal für die Verab­rei­chung des Impfstof­fes schulen und Impfver­zeich­nis­se anlegen können, damit man weiß, wer überhaupt geimpft werden möchte», sagte Thomae der Deutschen Presse-Agentur. All dies sei aber entwe­der gar nicht gesche­hen oder — im Falle der Impfzen­tren — viel zu spät in Angriff genom­men worden. Hier seien die Versäum­nis­se ähnlich groß wie in vielen Schulen, wo die Sommer­fe­ri­en nicht genutzt worden seien für den Einbau von Luftfil­ter­an­la­gen und die Schulung von Lehrkräf­ten, die sich schwer­tun mit dem Online-Unterricht.

Die FDP bemän­gelt außer­dem, dass die Bundes­re­gie­rung die Entschei­dung darüber, in welcher Reihen­fol­ge bestimm­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen geimpft werden sollen, mit einer einfa­chen Verord­nung regeln will. Ihr eigener Entwurf für ein Impf-Gesetz wird im Bundes­tag voraus­sicht­lich am kommen­den Donners­tag debat­tiert. «Rechts­ver­ord­nun­gen sind in Ordnung, wenn es um techni­sche Abläu­fe geht, aber hier geht es um Leben und Tod, deshalb braucht es dafür ein Gesetz, über das dann der Bundes­tag berät», sagte Thomae. Es sei nicht ausrei­chend, über solche Fragen nur in TV-Talkshows zu sprechen.

Der Bundes­tag müsse jetzt endlich in diese wichti­ge Entschei­dung einge­bun­den werden, forder­te auch Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz. Bis heute sei beispiels­wei­se nicht geklärt, wie sicher­ge­stellt werde, dass junge Schwer­kran­ke, die zuhau­se von Verwand­ten gepflegt würden, frühzei­tig Zugang zum Impfstoff erhal­ten. «Beim Aufbau der Impfzen­tren sind wir jetzt in der Endpha­se, bei der Priori­sie­rung steht man aber noch ganz am Anfang», sagte er. Nicht richtig sei es aus seiner Sicht, dass Bundes­tags­prä­si­dent Wolfgang Schäub­le (CDU) nun vorge­schla­gen habe, die Abgeord­ne­ten des Bundes­ta­ges sollten von der Priori­tät her «ebenso einge­stuft und behan­delt werden» wie etwa Mitglie­der der Bundes­re­gie­rung. Dazu gebe es bislang keinen Beschluss des Bundes­ta­ges, kriti­sier­te Brysch.

Am Wochen­en­de hatte sich auch der CDU-Innen­po­li­ti­ker Thors­ten Frei für ein Votum des Bundes­tags zur konkre­ten Reihen­fol­ge mögli­cher Impfun­gen gegen das Corona­vi­rus ausge­spro­chen. Er führte aus: «Entschei­dun­gen, die grund­le­gen­de Fragen des Gesund­heits- und Lebens­schut­zes der gesam­ten Bevöl­ke­rung betref­fen, sollte nur der Deutsche Bundes­tag treffen.»

In einer Anfang Dezem­ber veröf­fent­lich­ten Ausar­bei­tung der Wissen­schaft­li­chen Diens­te des Bundes­ta­ges, die Thomae angefor­dert hatte, heißt es: «Der überwie­gend vertre­te­nen Auffas­sung, wonach die Priori­sie­rung bestimm­ter Bevöl­ke­rungs­grup­pen beim Zugang zu Impfstof­fen eines förmli­chen Geset­zes bedarf, das zumin­dest die wesent­li­chen Krite­ri­en für die Vertei­lung eines knappen Impfstof­fes regelt, ist zuzustimmen.»

Grund für eine Priori­tä­ten­set­zung für Impfun­gen ist, dass zu Beginn noch nicht genug Impfstoff für alle Inter­es­sier­ten verfüg­bar sein dürfte. Einen sehr groben Rahmen für einen Vorrang beson­ders gefähr­de­ter Gruppen hat der Bundes­tag in einem kürzlich beschlos­se­nen Gesetz abgesteckt. Die Ständi­ge Impfkom­mis­si­on (Stiko) will eine genaue­re Empfeh­lung geben — laut einem Entwurf sollen Ältere über 80, Pflege­heim­be­woh­ner und bestimm­tes Perso­nal mit hohem Infek­ti­ons­ri­si­ko zuerst zum Zug kommen. Endgül­tig festle­gen soll die Priori­tä­ten eine Verord­nung des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums. Viele logis­ti­sche und prakti­sche Fragen sind aller­dings — etwa dreiein­halb Wochen vor den voraus­sicht­lich ersten Impfun­gen in Deutsch­land — noch nicht abschlie­ßend geklärt.

In der vergan­ge­nen Woche hatten die Innen­mi­nis­ter gefor­dert, Polizis­ten sollten früher als in den Empfeh­lun­gen vorge­se­hen geimpft werden, da sie einen engen Kontakt mit Bürgern oft nicht vermei­den könnten. Ähnli­che Forde­run­gen gab es für medizi­ni­sches Perso­nal — auch außer­halb von Kranken­häu­sern. Thomae sagte, so wie die Impfung jetzt vorbe­rei­tet werde, habe er Zweifel, ob wirklich im Herbst 2021, wie von Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) kürzlich angekün­digt, auch der Hälfte der Bevöl­ke­rung, die keiner der priori­tä­ren Gruppen angehört, ein Impf-Angebot gemacht werden könne.

Er sagte, er könne noch keine langfris­ti­ge Strate­gie erken­nen. «Der Impfschutz hält, wie bei einer Grippe-Impfung ja nicht ewig, da kann es sein, dass mitten in der Phase, in der eigent­lich die Jünge­ren ohne Vorer­kran­kun­gen und system­re­le­van­te Jobs geimpft werden sollen, wieder die Gruppe der Über-80-Jähri­gen an der Reihe ist.»

Die FDP hält es auch nicht für notwen­dig zu warten, bis jedes natio­na­le Insti­tut die europäi­sche Zulas­sung des Impfstof­fes von Biontech und Pfizer nachvoll­zo­gen habe. Aus seiner Sicht spreche nichts dagegen, in Deutsch­land ein paar Tage früher mit den Impfun­gen zu begin­nen, sollte das für die anschlie­ßen­de natio­na­le Zulas­sung zustän­di­ge Paul-Ehrlich-Insti­tut seine Arbeit dazu abgeschlos­sen haben. Schließ­lich sei die Vertei­lung der Impf-Dosen unter den EU-Staaten bereits geregelt und funktio­nie­re nicht wie ein Windhund-Rennen, «wir würden also nieman­dem etwas wegnehmen».