BERLIN (dpa) — Die Grafik, die Robert Habeck bei seiner Eröff­nungs­bi­lanz mitbringt, zeigt, wie weit Deutsch­land von seinen Klima­zie­len entfernt ist. Um auf den richti­gen Pfad zu kommen, will der Minis­ter einen «Turbo» zünden.

Klima­schutz­mi­nis­ter Robert Habeck sieht Deutsch­land auf dem Weg zu den Klima­zie­len vor einer gigan­ti­schen Aufga­be. «Wir müssen jetzt in den nächs­ten Jahren effizi­en­ter und schnel­ler werden», sagte der Grünen-Politi­ker in Berlin. «Wir müssen dreimal besser sein in allen Bereichen.»

Die Geschwin­dig­keit der CO2-Emissi­ons­min­de­rung müsse verdrei­facht werden. Der neue Minis­ter machte auch klar, er wolle die Akzep­tanz für Windrä­der oder Strom­tras­sen erhöhen — und zugleich die Bürger in die Pflicht nehmen. Das Land stehe vor einer großen politi­schen Debatte.

Die Aufga­be beim Klima­schutz sei «gigan­tisch» — aber: «Wir können das schaf­fen», sagte Habeck. Das war fast ein Merkel-Moment: «Wir schaf­fen das», war das berühm­te Zitat der damali­gen Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) in der Flücht­lings­kri­se. Hier die Vorha­ben im Detail:

Ausgangs­la­ge

Im Klima­schutz­ge­setz sind für einzel­ne Sekto­ren wie Energie, Indus­trie oder Verkehr Jahres­e­mis­si­ons­men­gen festge­schrie­ben, die in den kommen­den Jahren schritt­wei­se sinken. 2020 erreich­ten bis auf den Gebäu­de­be­reich alle Sekto­ren die Ziele — das hatte aber auch mit Corona-Fakto­ren zu tun. Laut Minis­te­ri­um ist abseh­bar, dass die Treib­haus­gas­emis­sio­nen 2021 in vielen Sekto­ren wieder gestie­gen sind und die Klima­zie­le 2022 und 2023 verfehlt würden. Ohne weitrei­chen­de Gegen­maß­nah­men werde Deutsch­land auch die Klima­zie­le 2030 deutlich verfeh­len, sagte Habeck. 2030 ist ein wichti­ges Etappen­ziel auf dem Weg zur geplan­ten Klima­neu­tra­li­tät 2045.

Windkraft

Habeck nannte die Windkraft an Land den «Lastesel» der Energie­wen­de — also den Umbau von fossi­len Energie­trä­gern wie der Kohle hin zu erneu­er­ba­ren Energien aus Wind und Sonne. Der Ausbau der Windkraft soll nun massiv beschleu­nigt, Planungs- und Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren sollen verkürzt werden — auch weil Habeck von einem deutlich höheren Strom­be­darf bis 2030 ausgeht wegen Millio­nen neuer Elektro­au­tos oder Wärme­pum­pen. In einem «Oster-Paket» an Maßnah­men, die dann vom Kabinett verab­schie­det werden sollen, steht eine Reform des Erneu­er­ba­re-Energien-Geset­zes (EEG) deshalb ganz oben.

Das bedeu­tet konkret: Die Ausbaum­en­gen sollen deutlich erhöht werden. Bis 2030 sei eine instal­lier­te Leistung von mehr als 100 Gigawatt Windener­gie an Land nötig, heißt es in einem Papier des Minis­te­ri­ums. Bezie­he man auch den Rückbau älterer Anlagen in den nächs­ten Jahren ein, handle es sich dabei um mehr als eine Verdopp­lung der derzeit instal­lier­ten Leistung. Insge­samt soll der Anteil der erneu­er­ba­ren Energien am Strom­ver­brauch bis 2030 auf 80 Prozent steigen — 2021 lag dieser laut Branchen­ver­bän­den bei gut 42 Prozent.

Ein großes Problem aber ist, dass es bisher viel zu wenig ausge­wie­se­ne Flächen für Windkraft­an­la­gen gibt. Die neue Bundes­re­gie­rung will das Ziel von zwei Prozent der Landes­flä­chen für die Windener­gie an Land gesetz­lich veran­kern — das ist viermal mehr als bisher. Habeck könnte dies per Bundes­ge­setz regeln, kündig­te aber inten­si­ve Gesprä­che mit den Ländern an. Denn mitun­ter gibt es schar­fe Abstands­re­ge­lun­gen von Wohnhäu­sern zu Windkraft­an­la­gen — wie in Bayern. Habeck will diese kippen: «Da, wo Abstands­re­geln vorge­hal­ten werden, um Verhin­de­rungs­pla­nung zu betrei­ben, können sie nicht länger bestehen bleiben.»

Akzep­tanz

«Der Teufel liegt natür­lich im Detail», sagte Habeck mit Blick auf Protes­te in der Bevöl­ke­rung. Immer dann, wenn Windkraft­an­la­gen oder Strom­tras­sen gebaut werden, sagten Leute: «Das mag alles schön und gut sein, aber bitte nicht da, da gehe ich immer am Sonntag spazie­ren mit meinem Waldi.» Es gebe immer indivi­du­el­le Betrof­fen­hei­ten: «Erst einmal hoffe ich, dass wir als Gesell­schaft in der Lage sind, auch immer wieder mal über unsere eigenen indivi­du­el­len Betrof­fen­heits­schat­ten zu sprin­gen, sonst wird das alles nichts werden.» Außer­dem gehe es darum, dass sich mit Windparks wirtschaft­li­che Vortei­le für die Regio­nen und für die Menschen verbin­den müssten.

Solar­ener­gie und Gebäude

Auch bei der Photo­vol­ta­ik will Habeck einen Schub auslö­sen. Die instal­lier­te Leistung soll bis 2030 auf 200 Gigawatt gestei­gert werden, das ist mehr als eine Verdrei­fa­chung. Es gelte, alle geeig­ne­ten Dachflä­chen zu nutzen. Wie im Koali­ti­ons­ver­trag von SPD, Grünen und FDP vorge­se­hen, soll die Solar­strom­erzeu­gung auf gewerb­li­chen Neubau­ten verpflich­tend werden und im priva­ten Neubau «zur Regel». Ziel des Minis­te­ri­ums ist es dem Verneh­men nach, dass neue Anlagen auch von Privat­per­so­nen wirtschaft­lich betrie­ben werden können. Im Gebäu­de­be­reich soll ab 2025 jede neu einge­bau­te Heizung auf der Basis von mindes­tens 65 Prozent erneu­er­ba­rer Energien betrie­ben werden müssen.

Gaskraft­wer­ke

Deutsch­land steigt bis Ende 2022 aus der Atomkraft aus und in den kommen­den Jahren schritt­wei­se aus der Kohle. Als «Brücken­tech­no­lo­gie» sollen neue Gaskraft­wer­ke gebaut werden — auch als Reser­ve, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Diese Gaskraft­wer­ke sollen später mit Wasser­stoff betrie­ben werden können.

Entlas­tun­gen

Er wolle die Menschen mitneh­men und überzeu­gen — das war eine zentra­le Botschaft Habecks. Deswe­gen müssten Klima­schutz­an­for­de­run­gen sozial verträg­lich ausge­stal­tet werden. Ein wichti­ger Baustein: Ab 2023 soll die EEG-Umlage, die Kunden bisher über die Strom­rech­nung zahlen, über den Bundes­haus­halt finan­ziert werden. Pro Jahr entlas­tet das laut Habeck einen Durch­schnitts­haus­halt um 300 Euro.

Von Andre­as Hoenig und Fatima Abbas, dpa