KIEW/MOSKAU (dpa) — Der ukrai­ni­sche Präsi­dent ist mit der Arbeit seines Geheim­diens­tes unzufrie­den — er kündigt umfang­rei­che Entlas­sun­gen an. Die EU strei­tet derweil um Russland-Sanktio­nen. Entwick­lun­gen im Überblick.

Nach der Freistel­lung von Geheim­dienst­chef Iwan Bakanow hat der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj weite­re Entlas­sun­gen in der Behör­de angekün­digt. Die Führung in Kiew ist offen­sicht­lich mit der Arbeit der eigenen Aufklä­rung unzufrie­den und spricht von Verrat.

Politisch hinter­gan­gen fühlt sich derweil die EU-Spitze von einzel­nen Mitglieds­län­dern bei ihrer Russland­po­li­tik. Konkret steht erneut Viktor Orban im Verdacht, die Sankti­ons­po­li­tik der Europäi­schen Union zu torpedieren.

28 Geheim­dienst-Mitar­bei­ter müssen gehen

Selen­skyj hat die Entlas­sung von 28 Mitar­bei­tern des ukrai­ni­schen Geheim­diens­tes SBU angekün­digt. Es gehe um unter­schied­lich hohe Posten und Funktio­nen, «aber die Begrün­dun­gen sind ähnlich: unbefrie­di­gen­de Arbeits­er­geb­nis­se», sagte Selen­skyj in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Am Vortag hatte er bereits seinen Geheim­dienst­chef und Jugend­freund Iwan Bakanow sowie die General­staats­an­wäl­tin Iryna Wenedik­to­wa suspendiert.

Nun stell­te Selen­skyj eine Revisi­on der gesam­ten Arbeit des Geheim­diens­tes in Aussicht. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent hatte sich zuletzt verär­gert darüber geäußert, dass mehr als 60 Mitar­bei­ter von SBU und General­staats­an­walt­schaft in den besetz­ten Gebie­ten geblie­ben seien. Kiew wertet dies als Hochver­rat. Medien verwie­sen aller­dings auch darauf, dass der 47-jähri­ge Bakanow als Fachfrem­der nur wenig Autori­tät unter seinen Angestell­ten genos­sen habe.

Derweil traf Selen­sky­js Gattin, Olena Selen­s­ka, in den USA Außen­mi­nis­ter Antony Blinken. Am Mittwoch will die ukrai­ni­sche First Lady vor dem Kongress um weite­re Hilfe bitten. Die USA ist der größte Waffen­lie­fe­rant für die Ukrai­ne. Der Oberkom­man­die­ren­de der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te bedank­te sich beim Vorsit­zen­den des Verei­nig­ten General­stabs der US-Streit­kräf­te, Mark Milley, für die Liefe­rung der Raketen­wer­fer Himars. Diese hätten dazu beigetra­gen, die Lage an der Front zu stabilisieren.

Ungarn torpe­diert Russland­po­li­tik der EU

Die Sankti­ons­po­li­tik der EU gegen Russland sorgt erneut für Diskus­sio­nen inner­halb der Staaten­ge­mein­schaft. EU-Chefdi­plo­mat Josep Borrell kriti­sier­te bei einem Außen­mi­nis­ter­tref­fen in Brüssel mit deutli­chen Worten öffent­lich geäußer­te Zweifel am Kurs der EU. Zugleich machte er deutlich, dass die EU aus seiner Sicht an ihrer Politik festhal­ten wird.

Bereits in dieser Woche soll eigent­lich ein siebtes Sankti­ons­pa­ket beschlos­sen werden, das unter anderem ein Gold-Embar­go gegen Russland umfasst. Ob das klappt, wird sich in den nächs­ten Tagen zeigen. Die Beratun­gen über die Details sollten erst am Montag­abend beginnen.

Ungarns Minis­ter­prä­si­dent Orban hatte wenige Tage vor dem Außen­mi­nis­ter­tref­fen deutli­che Kritik an der Sankti­ons­po­li­tik der EU geübt — obwohl die Sanktio­nen nur einstim­mig, also nur mit ungari­scher Unter­stüt­zung beschlos­sen werden können. Anfäng­lich habe er noch geglaubt, man hätte sich nur «ins eigene Knie geschos­sen», jetzt sei aber erkenn­bar, dass es ein Schuss in die Lunge der europäi­schen Wirtschaft gewesen sei, die jetzt überall um Luft ringe, sagte Orban im ungari­schen Radio.

US-Abgeord­ne­te für Nato-Beitritt von Finnland und Schweden

Das US-Reprä­sen­tan­ten­haus unter­stützt einen Beitritt Finnlands und Schwe­dens zur Nato. Die Abgeord­ne­ten votier­ten mit 394 zu 18 Stimmen für eine entspre­chen­de Resolu­ti­on. Darin bringen sie ihre Unter­stüt­zung für die «histo­ri­sche Entschei­dung» Finnlands und Schwe­dens zum Ausdruck und fordern alle Nato-Mitglie­der auf, die Beitritts­pro­to­kol­le zügig zu ratifizieren.

Vor zwei Monaten hatten Finnland und Schwe­den nach dem russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne die Aufnah­me in das westli­che Vertei­di­gungs­bünd­nis beantragt. Die Hälfte der Nato-Staaten hat den Beitrit­ten von Schwe­den und Finnland nach Angaben aus Stock­holm bereits zugestimmt. Beson­de­res Augen­merk ist nun darauf gerich­tet, wie der Ratifi­zie­rungs­pro­zess in der Türkei voranschreitet.

Russland stellt Ukrai­ne härte­re Bedin­gun­gen in Aussicht

Unzufrie­den­heit herrscht auch auf der Gegen­sei­te: Russland hat der Ukrai­ne im Fall einer Wieder­auf­nah­me von Friedens­ge­sprä­chen härte­re Bedin­gun­gen als zuvor in Aussicht gestellt. Bei den Verhand­lun­gen im März in der Türkei seien konkre­te Resul­ta­te erzielt worden, ehe Kiew den Kontakt abgebro­chen habe, klagte Juri Uscha­kow, ein Berater von Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin, der Nachrich­ten­agen­tur RBK zufol­ge. «Wenn jetzt also die Verhand­lun­gen wieder aufge­nom­men werden, dann zu völlig anderen Bedin­gun­gen», sagte Uscha­kow — ohne Einzel­hei­ten zu nennen.

Kriegs­kri­ti­ker in Russland im Visier

Die russi­schen Behör­den gehen derweil hart gegen Kriegs­kri­tik im eigenen Land vor. Nach Angaben des Bürger­recht­lers Pawel Tschi­kow haben Innen­mi­nis­te­ri­um, Ermitt­lungs­ko­mi­tee und der Geheim­dienst FSB inzwi­schen 200 Straf­ver­fah­ren gegen Kriegs­geg­ner eröffnet.

In vielen Fällen dient das im März im Eilver­fah­ren durch­ge­brach­te umstrit­te­ne Fake-Gesetz als Grund­la­ge für die Straf­ver­fol­gung. Insge­samt greifen die Behör­den aber auf 22 verschie­de­ne Paragra­fen zurück, um Kritik am Krieg, der in Moskau nur «militä­ri­sche Spezi­al­ope­ra­ti­on» genannt werden darf, zu unterdrücken.

Das wird heute wichtig

Kreml­chef Putin und der türki­sche Staats­chef Recep Tayyip Erdogan treffen sich am Diens­tag mit Irans Präsi­dent Ebrahim Raisi. Bei dem Gipfel in der irani­schen Haupt­stadt Teheran sind offizi­ell Gesprä­che über eine Verbes­se­rung der Lage im Bürger­kriegs­land Syrien geplant. Nach Kreml­an­ga­ben geht es aller­dings um eine ganze Reihe von Fragen zur inter­na­tio­na­len Politik, darun­ter der Krieg in der Ukraine.

Das Treffen findet kurz nach einer mehrtä­gi­gen Reise des US-Präsi­den­ten Joe Biden in die Region statt. Biden kehrte erst am Wochen­en­de aus Saudi-Arabi­en zurück — dem großen regio­na­len Rivalen Irans.