MOSKAU/KIEW (dpa) — Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj irritiert mit der Forde­rung, einen russi­schen Atomwaf­fen­ein­satz mit Präven­tiv­schlä­gen zu verhin­dern. Moskau spricht vom «Dritten Weltkrieg». Die News im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat mit seiner Forde­rung nach «Präven­tiv­schlä­gen» einen empfind­li­chen Nerv getrof­fen — nicht nur in Moskau. Während der Kreml von einem Aufruf zum Beginn des «Dritten Weltkriegs» sprach, versi­cher­te Kiew, Selen­skyj sei bei seinem Video­auf­tritt vor austra­li­schen Meinungs­ma­chern falsch verstan­den worden.

US-Präsi­dent Joe Biden sieht die Gefahr einer atoma­ren Konfron­ta­ti­on nach Drohun­gen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr. Heute ist Tag 226 im russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine.

Selen­skyj: Nato muss russi­schen Atomwaf­fen­ein­satz verhindern

Die Nato muss nach Ansicht Selen­sky­js die Möglich­keit eines russi­schen Atomwaf­fen­ein­sat­zes verhin­dern — notfalls mit Präven­tiv­schlä­gen. Selen­skyj beton­te bei einem Auftritt vor dem Lowy Insti­tut die Bedeu­tung von Präven­tiv­maß­nah­men. Die Nato «muss die Möglich­keit eines Atomwaf­fen­ein­sat­zes durch Russland ausschlie­ßen. Wichtig ist aber — ich wende mich wie vor dem 24. Febru­ar deshalb an die Weltge­mein­schaft — dass es Präven­tiv­schlä­ge sind, damit sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie sie anwen­den.» Er beton­te: «Nicht umgekehrt: Auf Schlä­ge von Russland warten, um dann zu sagen: «Ach du kommst mir so, dann bekommst du jetzt von uns»».

Selen­sky­js Sprecher Serhij Nykyfo­row beton­te umgehend, dessen Forde­rung sei falsch verstan­den worden. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent habe ledig­lich gesagt, vor dem 24. Febru­ar — dem Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne — seien Präven­tiv­maß­nah­men nötig gewesen, um den Krieg zu verhindern.

In seiner Rede lehnte der ukrai­ni­sche Präsi­dent Gebiets­ab­tre­tun­gen an Russland ab, um Kreml­chef Wladi­mir Putin zu beschwich­ti­gen und einen Frieden zu erzie­len. Der Aggres­sor dürfe für das Losschla­gen des Kriegs nicht belohnt, sondern müsse besiegt werden. Einen Atomschlag gegen die Ukrai­ne werde Putin nicht überle­ben, so der 44-Jährige.

Kreml: Selen­skyj fordert Beginn des Dritten Weltkriegs

Der Kreml hat die Äußerun­gen Selen­sky­js in Richtung Nato zu mögli­chen Präven­tiv­schlä­gen gegen Russland scharf verur­teilt. «Die Erklä­run­gen Selen­sky­js sind nichts anderes als ein Aufruf zum Beginn des Dritten Weltkriegs mit unvor­her­seh­ba­ren schreck­li­chen Folgen», sagte Kreml­spre­cher Dmitri Peskow. Auch das russi­sche Außen­mi­nis­te­ri­um kriti­sier­te Selen­sky­js Äußerun­gen heftig.

Laut Peskow lenken die USA und Großbri­tan­ni­en die Handlun­gen Kiews. Außen­amts­spre­che­rin Maria Sacha­rowa behaup­te­te, der Westen zette­le einen Atomkrieg an. «Jeder Mensch auf dem Plane­ten muss erken­nen, dass die mit Waffen vollge­pump­te und unsta­bi­le Mario­net­te Selen­skyj sich in ein Monster verwan­delt hat, mit dessen Händen man den ganzen Plane­ten vernich­ten kann», sagte sie.

Biden: So nahe am «Armaged­don» wie seit Kuba-Krise nicht mehr

US-Präsi­dent Biden sieht die Gefahr einer atoma­ren Konfron­ta­ti­on mit katastro­pha­len Folgen nach Drohun­gen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr. Die Welt habe seit der Kuba-Krise 1962 nicht vor der Aussicht auf ein «Armaged­don» gestan­den, sagte Biden laut mitrei­sen­den Journa­lis­ten bei einem Auftritt in New York.

Er kenne Putin ziemlich gut, so Biden demnach. Der Kreml­chef scher­ze nicht, wenn er über den poten­zi­el­len Einsatz takti­scher Atomwaf­fen sowie Chemie- und Biowaf­fen spreche, da das russi­sche Militär in den Kampf­hand­lun­gen in der Ukrai­ne schwächele.

Selen­skyj fordert weiter Druck gegen Moskau und AKW-Rückga­be an Kiew

In seiner abend­li­chen Video­an­spra­che ging Selen­skyj nicht auf seine Irrita­tio­nen hervor­ru­fen­den Worte ein. Statt­des­sen beton­te er einmal mehr die von Russland ausge­hen­de atoma­re Gefahr. Er forder­te den Westen dazu auf, den Druck auf Moskau hochzu­hal­ten — auch um die Rückga­be des annek­tier­ten AKW Saporischschja zu erzwin­gen. «Ich danke allen für ihre Unter­stüt­zung, die für die Rückga­be der vollen ukrai­ni­schen Kontrol­le über das Kraft­werk und dessen vollstän­di­ge Entmi­li­ta­ri­sie­rung kämpfen», sagte Selen­skyj. Die 500 russi­schen Solda­ten in der Nukle­ar­an­la­ge bezeich­ne­te er als Katastrophenrisiko.

Kreml­chef Putin hatte am Mittwoch im Zuge der Annexi­on das AKW für Russland in Besitz genom­men. Selen­skyj nannte den Schritt «wertlos und dumm». Ein Kernkraft­werk sei kein Palast, den man stehlen könne, spiel­te er auf Enthül­lun­gen zu Putins Luxus­pa­last am Schwar­zen Meer an. Zugleich bedank­te sich Selen­skyj beim Chef der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de (IAEA), Rafael Grossi. Dieser habe ihm versi­chert, dass die IAEA allein die Ukrai­ne als Besit­zer des AKW betrachte.

Auch von der EU forder­te Selen­skyj diplo­ma­ti­schen Druck, um die Rückga­be des AKW zu errei­chen. Sonst sei die Ukrai­ne nicht in der Lage, überschüs­si­gen Strom für den Export in die EU zu produ­zie­ren. Er lobte das neue EU-Sankti­ons­pa­ket. Zugleich dräng­te er darauf, dass Russland keine Gewin­ne mehr aus dem Öl- und Gasver­kauf ziehen dürfe.

EU setzt mit Partnern Zeichen gegen Putin

Die EU-Staaten haben als Zeichen gegen den russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne zudem eine neue politi­sche Gemein­schaft mit fast allen anderen europäi­schen Ländern gegrün­det. Die Staats- und Regie­rungs­chefs der mehr als 40 betei­lig­ten Partner kamen am Donners­tag in Prag zu einem ersten Treffen zusammen.

Unter ihnen war auch Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD), der die sogenann­te Europäi­sche Politi­sche Gemein­schaft als «große Innova­ti­on» bezeich­ne­te. Das nächs­te Treffen ist im Frühjahr 2023 in der durch Russland unter Druck gesetz­ten Republik Moldau geplant.

Strack-Zimmer­mann erneu­ert Forde­rung nach Panzer­lie­fe­rung an Kiew

Die Vorsit­zen­de des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses im Bundes­tag, Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann, erneu­er­te bei einem Ukrai­ne-Besuch am Donners­tag ihre Forde­rung nach einer Liefe­rung von Kampf- und Schüt­zen­pan­zern an das Land.

«Der Wille, das eigene Land zu vertei­di­gen, ist ungebro­chen», sagte die FDP-Politi­ke­rin der Deutschen Presse-Agentur. «Aber die Ukrai­ne braucht weiter­hin Unter­stüt­zung von uns, um über den Winter zu kommen. Das betrifft allen voran Muniti­on, aber auch die Liefe­rung von Schüt­zen- oder Kampf­pan­zern, um russi­sche Stellun­gen zurück zu drängen.»

Was heute wichtig wird

Putin wird 70. Gefei­ert wird im luxuriö­sen Konstan­tins-Palast. Geladen sind die Staats­chefs der Sowjet­nach­fol­ge-Organi­sa­ti­on Gemein­schaft Unabhän­gi­ger Staaten. Damit will Putin zeigen, dass er trotz seines Angriffs­kriegs inter­na­tio­nal nicht isoliert ist.