SIMFEROPOL/KIEW/MOSKAU (dpa) — Die Explo­si­on auf der Krim-Brücke bedeu­tet die nächs­te Eskala­ti­on im Krieg gegen die Ukrai­ne. Der Kreml hat keine Antwort parat, Kiew hinge­gen bietet gleich mehre­re an. Die aktuel­len Entwicklungen.

Eine schwe­re Explo­si­on auf der für Russland wichti­gen Krim-Brücke hat inter­na­tio­nal Befürch­tun­gen vor einer weite­ren Eskala­ti­on des Konflikts geweckt.

Doch Moskau blieb — zumin­dest am Samstag — eine schnel­le und klare Antwort schul­dig. Die ukrai­ni­sche Führung ihrer­seits übt sich in Schaden­freu­de, ohne offizi­ell die Verant­wor­tung für den mutmaß­li­chen Anschlag zu überneh­men. Am Abend wurde der Verkehr über die Brücke im begrenz­ten Umfang wieder aufgenommen.

Selen­skyj lässt ukrai­ni­sche Betei­li­gung an Explo­si­on offen

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj ließ eine Betei­li­gung seines Landes an der Explo­si­on auf der Krim-Brücke offen. In der Ukrai­ne sei es großteils sonnig und warm gewesen, «auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm», sagte er in seiner tägli­chen Video­an­spra­che in Anspie­lung auf die morgend­li­che Detona­ti­on an der Brücke. Näher ging er auf den Vorfall nicht ein. Anschlie­ßend forder­te er die Russen einmal mehr zur Aufga­be und Flucht auf. Das sei ihre beste Option, um am Leben zu bleiben. Es werde eine Zukunft ohne Besat­zer geben in der Ukrai­ne. «Auf unserem ganzen Terri­to­ri­um, insbe­son­de­re auf der Krim», sagte er.

Die für Russland strate­gisch und symbo­lisch wichti­ge Krim-Brücke war am frühen Samstag­mor­gen von einer schwe­ren Explo­si­on erschüt­tert worden. Videos zeigen große Zerstö­run­gen. Die genau­en Hinter­grün­de sind noch unklar. Russi­schen Angaben zufol­ge ist ein Lastwa­gen explo­diert. Dadurch sollen nach Darstel­lung russi­scher Ermitt­ler weiter entfernt gleich sieben Kessel­wa­gen mit Diesel in Brand geraten sein. Außer­dem stürz­ten Teile der Brücken­au­to­bahn ins Meer. Mindes­tens drei Menschen sollen dabei getötet worden sein.

«Happy Birth­day, Mr. President»

Vor Selen­skyj hatten bereits mehre­re hochran­gi­ge Politi­ker aus der Umgebung des ukrai­ni­schen Präsi­den­ten die Speku­la­tio­nen um eine Tatbe­tei­li­gung Kiews angeheizt. Der Sekre­tär des ukrai­ni­schen Sicher­heits­rats, Olexij Danilow, veröf­fent­lich­te am Samstag auf Facebook Aufnah­men von dem teils zerstör­ten Bauwerk, das Russland und die 2014 von Moskau annek­tier­te Schwarz­meer-Halbin­sel Krim verbin­det. Daneben stell­te er ein Video, das die Holly­wood-Legen­de Marilyn Monroe (1926 — 1962) zeigt, wie sie im Jahr 1962 für den damali­gen US-Präsi­den­ten John F. Kenne­dy das Geburts­tags­ständ­chen «Happy Birth­day, Mr. Presi­dent» singt. Der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin feier­te am Freitag seinen 70. Geburtstag.

Der Berater des Präsi­den­ten­bü­ros, Mycha­j­lo Podol­jak, wieder­um twitter­te zunächst: «Alles Illega­le muss zerstört werden, alles Gestoh­le­ne muss an die Ukrai­ne zurück.» Ein paar Stunden später ruder­te er mit krypti­schen Äußerun­gen zurück. Er stell­te den Anschlag als Konkur­renz­kampf zwischen russi­scher Armee und Geheim­dienst FSB dar. Der FSB versu­che die Armee­spit­ze auszu­wech­seln und sei nun plötz­lich selbst angeschla­gen, weil er den Angriff auf die Brücke verschla­fen habe. «Ist es nicht offen­sicht­lich, wer die Explo­si­on verur­sacht hat?», übte er sich in Verschwörungstheorien.

Putin befiehlt verstärk­te Kontrol­le über Krim-Brücke

Dabei war offizi­ell der FSB gar nicht zustän­dig. Die Aufga­be teilten sich bisher Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um, Natio­nal­gar­de und Verkehrs­mi­nis­te­ri­um. Putin wies den Geheim­dienst erst nach der Explo­si­on per Dekret an, die Kontrol­le über die beschä­dig­te Krim-Brücke zu verschär­fen. «Dem FSB werden die Vollmach­ten übertra­gen zur Organi­sa­ti­on und Koordi­na­ti­on von Schutz­maß­nah­men für den Trans­port­weg über die Meerenge von Kertsch, für die Strom­brü­cke der Russi­schen Födera­ti­on auf die Halbin­sel Krim und die Gaspipe­line vom Gebiet Krasno­dar zur Krim», heißt es in dem Dekret.

Es ist die erste Maßnah­me, die der Kreml nach der mutmaß­lich durch einen Anschlag herbei­ge­führ­ten Explo­si­on am Morgen ergriff. Öffent­lich äußern wollte sich der russi­sche Präsi­dent jedoch nicht. Putin wird nach offizi­el­len Angaben auch in den nächs­ten Tagen nicht zu den Russen sprechen. Ein solcher Auftritt sei nicht geplant, sagte Kreml­spre­cher Dmitri Peskow am Samstag. Politi­sche Beobach­ter hatten eine Anspra­che des Präsi­den­ten angesichts der schwe­ren Schäden an der Brücke für wahrschein­lich gehal­ten. Moskau hatte Kiew in der Vergan­gen­heit mit schwe­ren Konse­quen­zen bei einem versuch­ten Angriff auf das Objekt gedroht.

Ernen­nung eines neuen Oberbe­fehls­ha­bers und Evakuation

Die russi­schen Truppen in der Ukrai­ne haben derweil nach zahlrei­chen Nieder­la­gen bei ihrem Angriffs­krieg nun einen neuen Komman­deur. Der 55 Jahre alte Armee­ge­ne­ral Sergej Surowi­kin sei von Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Sergej Schoi­gu einge­setzt worden, um die «militä­ri­sche Spezi­al­ope­ra­ti­on» zu führen, teilte Minis­te­ri­ums­spre­cher Igor Konaschen­kow am Samstag in Moskau mit. Schoi­gu kommt damit nach Meinung von Kommen­ta­to­ren seinen Kriti­kern entge­gen, die angesichts von Nieder­la­gen eine Neuauf­stel­lung der Truppen in der Ukrai­ne gefor­dert hatten.

Gleich­zei­tig berei­ten die russi­schen Besat­zer unter dem Druck ukrai­ni­scher Gegen­of­fen­si­ven in dem von Moskau annek­tier­ten südukrai­ni­schen Gebiet Cherson die Evaku­ie­rung von Zehntau­sen­den Zivilis­ten vor. Unter anderem seien die russi­schen Regio­nen Krasno­dar und Stawro­pol zur Aufnah­me von Kindern und Erwach­se­nen bereit, schrieb der Besat­zungs­chef von Cherson, Wladi­mir Saldo, am Samstag in seinem Telegram-Kanal.

Was am Sonntag wichtig wird

Offizi­ell unter­su­chen die russi­schen Behör­den die Explo­si­on an der Krim-Brücke noch. Wenn es am Sonntag schon erste Resul­ta­te gibt, könnte auch eine offizi­el­le — und mögli­cher­wei­se militä­ri­sche — Reakti­on aus Moskau erfol­gen. An der Front werden weite­re schwe­re Gefech­te im Süden und Osten der Ukrai­ne erwartet.