KIEW (dpa) — Durch die G7 und einen US-Gast in Kiew sieht sich die Ukrai­ne weiter gestärkt. Doch Präsi­dent Selen­skyj warnt, sich von Moskau nicht täuschen zu lassen. Die News im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sieht keine Bereit­schaft bei Moskau zu Verhand­lun­gen über ein mögli­ches Ende des Angriffs­krie­ges gegen sein Land. Russland schicke Zehn- oder Hundert­tau­sen­de Menschen für den Kampf; wer verhan­deln wolle, lasse die Menschen aber nicht im «Fleisch­wolf» sterben, sagte Selen­skyj in seiner aus Kiew verbrei­te­ten tägli­chen Videobotschaft.

«Wir sind jetzt bereit für einen Frieden, einen fairen und gerech­ten Frieden. Die Formel dafür haben wir viele Male erklärt», sagte Selen­skyj. Vor allem müsse Russland die Grenzen der Ukrai­ne und ihre terri­to­ria­le Unver­sehrt­heit nach UN-Recht respektieren.

Abzug russi­sche Truppen Voraus­set­zung für Friedensverhandlungen

Der ukrai­ni­sche Staats­chef warf Russland vor, mit den jüngst auch gegen­über auslän­di­schen Gesprächs­part­nern angebo­te­nen Verhand­lun­gen über ein Ende des Konflikts alle in die Irre zu führen. Zwar habe Moskau die Teilmo­bil­ma­chung für beendet erklärt. «Aber in Wahrheit sammelt Russland in seinen Regio­nen und auf unseren Gebie­ten, die besetzt sind, weiter Leute ein, um sie sterben zu lassen», sagte er.

Selen­skyj hatte als Voraus­set­zung für Friedens­ver­hand­lun­gen immer wieder einen vollstän­di­gen Abzug der russi­schen Truppen von ukrai­ni­schem Staats­ge­biet gefor­dert. Zudem sagte er nun, dass Russland die Verant­wor­tung für den Terror gegen die Ukrai­ne überneh­men müsse. Das Land müsse Kriegs­ver­bre­cher bestra­fen und die Schäden erset­zen, forder­te er.

Mit Blick auf Russlands Teilmo­bil­ma­chung von mehr als 300.000 Reser­vis­ten und Freiwil­li­gen für den Krieg in der Ukrai­ne sagte Selen­skyj, dass sich die schwers­ten Kämpfe derzeit im Donbass um die Städte Bachmut und Soledar im Gebiet Donezk konzen­trier­ten. «Wir halten die Stellun­gen.» Russland habe dort bereits Tausen­de Solda­ten verlo­ren. Einmal mehr beton­te Selen­skyj, dass die Ukrai­ne kämpfen werde, bis sie ihre ursprüng­li­chen Staats­gren­zen in vollem Umfang wieder herge­stellt habe. «Die Ukrai­ne wird frei sein.»

Bidens Natio­na­ler Sicher­heits­be­ra­ter in Kiew

Selen­skyj dankte in Kiew dem Natio­na­len Sicher­heits­be­ra­ter von US-Präsi­dent Joe Biden, Jake Sulli­van, für die Unter­stüt­zung Washing­tons mit Geld, Waffen und Muniti­on im Kampf gegen Russland. Sulli­van reiste unange­kün­digt in die ukrai­ni­sche Haupt­stadt. Bei politi­schen Gesprä­chen sicher­te er Kiew «die unerschüt­ter­li­che Unter­stüt­zung» seines Landes zu, wie eine Spreche­rin gestern mitteil­te. Demnach bekräf­tig­te er auch die Bereit­schaft zu weite­rer wirtschaft­li­cher und humani­tä­rer Hilfe.

Dabei sei auch über ein neues von den USA gestern bereit­ge­stell­tes militä­ri­sches Hilfs­pa­ket im Wert von 400 Millio­nen US-Dollar für die Ukrai­ne gespro­chen worden. Der Besuch kam zu einem inter­es­san­ten Zeitpunkt: Im US-Wahlkampf hatte es aus den Reihen der Republi­ka­ner jüngst die Drohung gegeben, dass die Partei bei den Ukrai­ne-Hilfen auf die Bremse treten könnte, falls sie bei den Kongress­wah­len am 8. Novem­ber die Mehrheit im US-Reprä­sen­tan­ten­haus erobern sollte.

Der obers­te Republi­ka­ner in der Parla­ments­kam­mer, Kevin McCar­thy, hatte dies offen ausge­spro­chen. US-Präsi­dent Biden äußer­te sich darauf­hin «besorgt»: Die Republi­ka­ner verstün­den nicht, wie folgen­reich und ernst eine solche Blocka­de wäre, mahnte er. «Es geht um viel mehr als die Ukrai­ne. Es geht um Osteu­ro­pa. Es geht um die Nato», hatte er gesagt. Sulli­van sagte ukrai­ni­schen Medien zufol­ge bei seinem Besuch, dass die Hilfe unabhän­gig vom Ausgang der Wahlen weiter kommen werden.

In seiner Video­an­spra­che dankte Selen­skyj auch den Außen­mi­nis­tern der Gruppe der sieben großen Indus­trie­na­tio­nen (G7), die in Münster zusam­men­ge­kom­men waren, für die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne gegen den russi­schen Aggres­sor. Die Gruppe, zu der neben Deutsch­land auch die USA, Frank­reich, Itali­en, Großbri­tan­ni­en, Japan und Kanada gehören, habe einen Koordi­nie­rungs­me­cha­nis­mus verein­bart, um beim Wieder­auf­bau der Energie-Infra­struk­tur des Landes zu helfen, sagte er. Russland hatte zuletzt unter anderem Kraft­wer­ke beschos­sen und dadurch in vielen Städten die Strom­ver­sor­gung zerstört.

Was heute wichtig wird

In der von russi­schen Truppen besetz­ten ukrai­ni­schen Stadt Cherson forder­ten die Behör­den die Menschen erneut mit Nachdruck zur Flucht auf. In Moskau Kreml­chef Wladi­mir Putin sagte in Moskau, die Evaku­ie­rung der Stadt Cherson sei notwen­dig, damit die Menschen nicht durch Kampf­hand­lun­gen gefähr­det würden. «Natür­lich sollten jetzt jene, die in Cherson leben, sich aus der Zone der gefähr­li­chen Handlun­gen entfer­nen», sagte Putin.

Nach offizi­el­len Angaben sollen bereits 80.000 Menschen das Gebiet Cherson verlas­sen haben. Die Ukrai­ne spricht von Verschlep­pung der Menschen. In den umkämpf­ten Teilen der Region sollen noch weiter 170.000 Menschen aushar­ren, die bisher nicht fliehen wollten oder konnten. Nach nicht überprüf­ba­ren Angaben des russi­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums werden weiter rund 5000 Menschen täglich über den Fluss Dnipro in Booten und über eine Ponton­brü­cke Sicher­heit gebracht. Die Evaku­ie­rung soll heute fortge­setzt werden.

Cherson ist die bislang einzi­ge Gebiets­haupt­stadt, über die Kiew nach dem russi­schen Einmarsch schon Ende März die Kontrol­le verlo­ren hatte. Im Septem­ber wurde das Gebiet nach einem Schein­re­fe­ren­dum von Russland annek­tiert, kein Land erkennt diesen Völker­rechts­bruch an. Die ukrai­ni­sche Armee führt seit Wochen eine Offen­si­ve zur Befrei­ung der Region.