KIEW/NEW YORK/WASHINGTON/BERLIN (dpa) — Präsi­dent Selen­skyj will das Kriegs­recht in seinem Land gleich um 90 Tage verlän­gern. Der US-Senat bestä­tigt eine neue Botschaf­te­rin in Kiew. Die aktuel­len Entwick­lun­gen im Überblick:

Wegen der Zunah­me des Hungers in der Welt fordern die Verein­ten Natio­nen von Russland dringend die Freiga­be blockier­ter Getrei­de­vor­rä­te aus der Ukraine.

«Russland muss den siche­ren Export von in ukrai­ni­schen Häfen gelager­tem Getrei­de zulas­sen», sagte UN-General­se­kre­tär António Guter­res bei einem Außen­mi­nis­ter­tref­fen in New York. Der von Russland begon­ne­ne Krieg drohe, viele Millio­nen in Ernäh­rungs­un­si­cher­heit zu stürzen und eine Krise auszu­lö­sen, «die Jahre andau­ern könnte».

Kämpfe dauern weiter an

In der Ukrai­ne gingen unter­des­sen die Kämpfe zwischen russi­schen und ukrai­ni­schen Truppen auch in der Nacht zum Donners­tag weiter. In Kiew berei­te­te Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj die Bevöl­ke­rung auf einen weiter andau­ern­den Krieg vor und plädier­te für die Verlän­ge­rung des Kriegs­rechts um 90 Tage bis in den August. «Unsere Armee und alle, die den Staat vertei­di­gen, müssen über alle recht­li­chen Mittel verfü­gen, um in Ruhe zu agieren», sagte der Staats­chef in einer Video­an­spra­che am späten Mittwochabend.

Unter­des­sen laufen am Donners­tag die Vorbe­rei­tun­gen auf den Nato-Beitritt von Finnland und Schwe­den weiter. Als Zeichen der Unter­stüt­zung empfängt US-Präsi­dent Joe Biden Spitzen­ver­tre­ter aus den beiden nordi­schen Ländern, die bislang neutral waren. Die US-Botschaft in Kiew nahm am Mittwoch nach fast drei Monaten Unter­bre­chung wieder die Arbeit auf, der US-Senat bestä­tig­te eine neue Botschafterin.

Kämpfe mit zivilen Opfern im Donbass

Die Lage an den einzel­nen Fronten in der Ukrai­ne blieb weitge­hend unver­än­dert. Im Osten versu­chen russi­sche Truppen weiter, die Gebie­te Donezk und Luhansk vollstän­dig zu erobern. Die Härte der Angrif­fe zeige sich auch am Tod von 15 Zivilis­ten in der Region am Mittwoch, teilte die ukrai­ni­sche Armee mit. Demnach wurde auch mindes­tens ein Kind getötet.

Ihrer­seits nahmen die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te für sich in Anspruch, im Norden der Großstadt Charkiw ein weite­res Dorf zurück­er­obert zu haben. In den vergan­ge­nen Wochen hatte die ukrai­ni­sche Armee die russi­schen Truppen im Norden und Nordos­ten Charkiws eigenen Angaben zufol­ge immer weiter Richtung Grenze zurück­ge­drängt. Wie die meisten Militär­be­rich­te auf beiden Seiten waren auch diese Angaben nicht sofort zu überprüfen.

Russi­sche Truppen beschos­sen laut Kiewer Angaben von eigenem Staats­ge­biet aus auch die nordost­ukrai­ni­schen Gebie­te Sumy und Tscher­ni­hiw. Russland wieder­um machte die Ukrai­ne für Beschuss auf das Grenz­dorf Tjotki­no und andere Orte im Gebiet Kursk verantwortlich.

Moskau dehnt Gebiets­an­sprü­che auf Saporischschja aus

Als bislang ranghöchs­ter Politi­ker aus Moskau besuch­te Vize-Regie­rungs­chef Marat Chusnul­lin das teilwei­se erober­te Gebiet Saporischschja im Südos­ten der Ukrai­ne. Die Perspek­ti­ve der Region liege darin, «in unserer einträch­ti­gen russi­schen Familie zu arbei­ten», sagte er in der Klein­stadt Melito­pol. Die Gebiets­haupt­stadt Saporischschja ist weiter in ukrai­ni­scher Hand.

Für beson­de­re Empörung in Kiew sorgte Chusnul­lins Forde­rung, die Ukrai­ne solle für Strom aus dem von russi­schen Truppen besetz­ten Kernkraft­werk von Saporischschja bezah­len. Auch in Cherson sucht die Besat­zungs­macht nach einem Weg, das Gebiet an Russland anzuschließen.

Welt wartet auf das Getrei­de aus der Ukraine

In New York warf Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) Russland vor, die Blocka­de von Getrei­de­ex­por­ten aus der Ukrai­ne als Kriegs­waf­fe einzu­set­zen. «Durch die Blocka­de ukrai­ni­scher Häfen, durch die Zerstö­rung von Silos, Straßen und Eisen­bah­nen und insbe­son­de­re der Felder von Bauern hat Russland einen Kornkrieg begon­nen, der eine globa­le Nahrungs­mit­tel­kri­se anfacht», sagte sie am Mittwoch bei dem Außenministertreffen.

Nach Angaben der Bundes­re­gie­rung unter­bin­det Russland in der Ukrai­ne die Ausfuhr von 20 Millio­nen Tonnen Getrei­de vor allem nach Nordafri­ka und Asien, ein Großteil davon im Hafen von Odessa.

UN-General­se­kre­tär Guter­res sagte, es sei notwen­dig, die Ukrai­ne als großen Produ­zen­ten wieder auf den Weltmarkt zu lassen — genau­so wie Russland und Belarus, die ebenfalls große Mengen Lebens- und Dünge­mit­tel produzierten.

Senat bestä­tigt neue US-Botschaf­te­rin für die Ukraine

Nach der Ankün­di­gung der USA, ihre Botschaft in Kiew wieder­eröff­nen zu wollen, hat der Senat die Karrie­re­di­plo­ma­tin Bridget Brink für den Posten der Botschaf­te­rin für die Ukrai­ne bestä­tigt. Die Kongress­kam­mer stimm­te der Perso­na­lie am Mittwoch (Ortszeit) in Washing­ton zu. Zuvor hatte das Außen­mi­nis­te­ri­um mitge­teilt, dass die wegen des russi­schen Angriffs­kriegs geschlos­se­ne US-Botschaft in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt ihren Betrieb wieder aufnimmt.

Brink war bislang die US-Gesand­te in der Slowa­kei. Zuvor hatte sie unter anderem im Außen­mi­nis­te­ri­um in Washing­ton als Exper­tin für Osteu­ro­pa und den Kauka­sus sowie als stell­ver­tre­ten­de Botschaf­te­rin in Usbeki­stan und Georgi­en gearbeitet.

Melnyk: Nato-Beitritt würde Risiko von Atomkrieg senken

Angesichts des geplan­ten Nato-Beitritts Schwe­dens und Finnlands hält der ukrai­ni­sche Botschaf­ter in Deutsch­land, Andrij Melnyk, auch einen Nato-Beitritt seines Landes für umsetz­bar. «Klar ist: Wir wollen schnell in die Nato. Das kann genau­so rasch gehen wie im Fall von Schwe­den oder Finnland. Es bräuch­te nur eine rein politi­sche Entschei­dung, um die Ukrai­ne zügig ins Bündnis zu integrie­ren», sagte Melnyk den Zeitun­gen der Funke Mediengruppe.

«Wenn die Ukrai­ne im Bündnis wäre, sinkt das Risiko eines Atomkrie­ges. Dann würde Putin wissen: Würde die Ukrai­ne mit Nukle­ar­waf­fen angegrif­fen, müsste er mit einem atoma­ren Gegen­schlag rechnen. Das würde ihn davon abhal­ten.» Melnyk hält zudem eine EU-Mitglied­schaft der Ukrai­ne inner­halb der nächs­ten zehn Jahre für möglich.

Das bringt der Tag

Über die Erwei­te­rung der Nato spricht US-Präsi­dent Biden im Weißen Haus mit der schwe­di­schen Minis­ter­prä­si­den­tin Magda­le­na Anders­son und dem finni­schen Präsi­den­ten Sauli Niniistö. Finnland und Schwe­den koope­rie­ren seit länge­rem mit dem westli­chen Vertei­di­gungs­bünd­nis und haben sich unter dem Eindruck der russi­schen Aggres­si­on gegen die Ukrai­ne zum Beitritt entschlos­sen. Vor einer Aufnah­me müssen aller­dings Beden­ken der Türkei ausge­räumt werden, der die Kurden­po­li­tik der nordi­schen Länder nicht passt.

In Brüssel treffen sich am Donners­tag die obers­ten Nato-Militärs, die für Vertei­di­gung zustän­dig sind. Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg trifft Dänemarks Regie­rungs­chefin Mette Frede­rik­sen. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) besucht die Nieder­lan­de. Die engen Verbün­de­ten Berlin und Den Haag koope­rie­ren auch bei der Liefe­rung von Waffen an die Ukraine.