KIEW/WASHINGTON (dpa) — Hunder­te ukrai­ni­sche Vertei­di­ger des Stahl­werks Azovs­tal haben sich zuletzt den Russen ergeben. Doch ein Video legt nahe, dass der Kampf noch nicht vorbei ist. Die aktuel­len Entwicklungen:

Die Ukrai­ne kann ihren Abwehr­kampf gegen Russland mit neuen milli­ar­den­schwe­ren Hilfen aus den USA fortführen.

Gut eine Woche nach dem Reprä­sen­tan­ten­haus verab­schie­de­te am Donners­tag auch die andere Kongress­kam­mer, der Senat, mit großer Mehrheit das Paket mit einem Volumen von fast 40 Milli­ar­den Dollar (38 Milli­ar­den Euro). Sechs Milli­ar­den Dollar sind für direk­te militä­ri­sche Hilfe für die Ukrai­ne vorge­se­hen, die von Russland vor fast drei Monaten angegrif­fen wurde. US-Präsi­dent Joe Biden muss das Geset­zes­pa­ket noch unterzeichnen.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj dankte für die Hilfe. Er stell­te in seiner abend­li­chen Video­an­spra­che aber auch klar, dass die Ukrai­ne in ihrem Wider­stand selbst jeden Monat Milli­ar­den verlie­re. «Um im Krieg um die Freiheit bestehen zu können, brauchen wir schnel­le und ausrei­chen­de finan­zi­el­le Unter­stüt­zung», sagte er. Die auslän­di­schen Partner der Ukrai­ne sollten Hilfen nicht als Geschenk sehen. «Das ist ihr Beitrag zu ihrer eigenen Sicherheit.»

Letzte Vertei­di­ger im Stahl­werk Azovs­tal melden sich zu Wort

Aus dem umkämpf­ten Stahl­werk Azovs­tal in Mariu­pol melde­ten sich die letzten ukrai­ni­schen Vertei­di­ger zu Wort. In den inter­na­tio­na­len Bemühun­gen um Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne wollen die Außen­mi­nis­ter der Europa­rats-Staaten am Freitag in Turin in Itali­en beraten. Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock setzt dabei auf die Geschlos­sen­heit der Europä­er: «Diese haben wir bewie­sen, als wir gemein­sam entschie­den haben, Russland aus dem Europa­rat auszu­schlie­ßen», sagte die Grünen-Politi­ke­rin vor dem Treffen.

«Hölle» im Donbass und angeb­li­ches Video aus Azovstal

Die Kämpfe zwischen russi­schen und ukrai­ni­schen Truppen gingen vor allem im Osten der Ukrai­ne im Donbass weiter. Das Komman­do der ukrai­ni­schen Kräfte in der Region berich­te­te am Donners­tag davon, dass 14 feind­li­che Angrif­fe abgewehrt worden seien. Überprüf­bar waren die Angaben nicht. Als ein Anzei­chen für die Härte der Kämpfe wurden erneut zahlrei­che zivile Todes­op­fer verzeich­net. Allein im Gebiet Donezk wurden nach Behör­den­an­ga­ben fünf Menschen getötet.

Selen­skyj bezeich­ne­te die Situa­ti­on im Donbass als «Hölle». Die Armee arbei­te weiter an der Befrei­ung der Region Charkiw, sagte der Präsi­dent. «Aber im Donbass versu­chen die Besat­zer, den Druck zu erhöhen. Da ist die Hölle, und das ist keine Übertreibung.»

Die Befehls­ha­ber des letzten militä­ri­schen Wider­stands der Ukrai­ne in Mariu­pol befin­den sich nach eigenen Angaben immer noch im Stahl­werk Azovs­tal. Ukrai­ni­sche Medien verbrei­te­ten am Donners­tag ein Video mit dem Vize-Komman­deur des Regiments Asow, Swjato­s­law Palamar. «Ich und das Komman­do sind auf dem Werkge­län­de von Azovs­tal. Es läuft eine gewis­se Opera­ti­on, zu deren Details ich nichts sagen werde», sagte Palamar. Die Echtheit des Videos war nicht sofort zu überprü­fen. Nach russi­schen Angaben haben sich seit Wochen­be­ginn 1730 ukrai­ni­sche Bewaff­ne­te ergeben, die sich in den Bunkern unter dem Stahl­werk verschanzt hatten. Sie seien in Kriegs­ge­fan­gen­schaft genom­men worden.

Umfang­rei­che Hilfen der USA

US-Präsi­dent Biden begrüß­te die Zustim­mung zu dem Milli­ar­den­pa­ket als klares Zeichen an die ganze Welt, wie die USA zur Ukrai­ne stünden. Von den knapp 40 Milli­ar­den Dollar entfällt rund die Hälfte auf den Vertei­di­gungs­be­reich. Neben direk­ten Waffen­lie­fe­run­gen sollen mit weite­ren Milli­ar­den­be­trä­gen US-Lager­be­stän­de wieder mit militä­ri­scher Ausrüs­tung aufge­füllt werden, die an die Ukrai­ne geschickt wurde. Andere Mittel sind vorge­se­hen für humani­tä­re Hilfe für Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne oder für Menschen weltweit, die infol­ge des Krieges Hunger leiden. Die US-Regie­rung hatte zuvor schon mehre­re große Pakete zur Unter­stüt­zung der Ukrai­ne auf den Weg gebracht.

Von der Leyen: Wieder­auf­bau­hil­fen an Refor­men binden

EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen hat vorge­schla­gen, künfti­ge Wieder­auf­bau­hil­fen für die Ukrai­ne angesichts des EU-Beitritts­wun­sches des Landes an Refor­men zu koppeln. «Wir werden sowie­so den Wieder­auf­bau der Ukrai­ne mitfi­nan­zie­ren müssen», sagte von der Leyen am Donners­tag in der ZDF-Sendung «maybrit illner». Dann sei es ihrer Ansicht nach sinnvoll zu sagen: «Ja zu Inves­ti­tio­nen, aber gleich mit den notwen­di­gen Refor­men, zum Beispiel gegen Korrup­ti­on oder zum Beispiel für den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit.»

Melnyk: Eindruck, dass Scholz nicht liefern will

Der ukrai­ni­sche Botschaf­ter in Berlin, Andrij Melnyk, hat Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) erneut eine zöger­li­che Haltung bei der Liefe­rung schwe­rer Waffen vorge­wor­fen. «Wir haben den Eindruck, dass der Kanzler nicht liefern will», sagte Melnyk dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND, Freitag). Bislang seien weder Gepard-Panzer, noch Leopard 1 oder Marder gelie­fert worden, kriti­sier­te er. Auch der angekün­dig­te Ringtausch mit T‑72-Panzern für die Ukrai­ne aus Slowe­ni­en habe bisher nicht geklappt.

Berlin kündig­te unter­des­sen an, Tsche­chi­en in einem sogenann­ten Ringtausch 15 Leopard-2-Panzer zur Verfü­gung zu stellen, um damit Liefe­run­gen schwe­rer Waffen des Nato-Partners an die Ukrai­ne auszu­glei­chen. «Die Auslie­fe­rung soll noch dieses Jahr begin­nen und auch einen 30-Tage-Vorrat an 120 mm Muniti­on umfas­sen», teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um den zustän­di­gen Obleu­ten im Bundes­tag mit. Das Schrei­ben lag der Deutschen Presse-Agentur am Freitag vor.

Das bringt der Tag

In der Ukrai­ne wird am Freitag der erste Prozess gegen einen russi­schen Solda­ten wegen eines mutmaß­li­chen Kriegs­ver­bre­chens fortge­setzt. Die Staats­an­walt­schaft fordert lebens­lan­ge Haft für den 21-Jähri­gen, der einen Zivilis­ten erschos­sen haben soll.

Zur Außen­mi­nis­ter­ta­gung des Europa­ra­tes am Freitag kündig­te Baerbock an, dass Deutsch­land mit anderen Staaten die ausfal­len­den Mitglieds­bei­trä­ge Russlands überneh­men werde. Die Arbeit der Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on dürfe nicht unter dem Ausschluss leiden.

In Brüssel treffen sich die für Entwick­lung zustän­di­gen Minis­ter der EU-Staaten zur inter­na­tio­na­len Ernäh­rungs­la­ge, weil die Ukrai­ne durch die russi­sche Blocka­de als wichti­ger Getrei­de­lie­fe­rant ausfällt.