DEBLIN (dpa) — Ein eintä­gi­ger Kurs soll Nachwuchs für Polens Streit­kräf­te anwer­ben und den Bürgern Kennt­nis­se für den Ernst­fall vermit­teln. Das Land will die Zahl seiner Solda­ten verdoppeln.

Durch die hügeli­ge Landschaft auf dem Großbild­schirm fährt ein Panzer. Plötz­lich tauchen hinter einer Mauer feind­li­che Solda­ten auf. Sofia Adach packt das schwar­ze Sturm­ge­wehr fester, zielt und drückt ab. Rote Punkte markie­ren ihre Treffer auf dem Bildschirm.

«Beim Schie­ßen nicht den Atem anhal­ten, einfach ruhig weiter­at­men», sagt Stabs­un­ter­of­fi­zie­rin Magda­le­na Porows­ka. Mit ausge­streck­ten Arm zeigt sie der Schüt­zin, in welchem Winkel sie das Sturm­ge­wehr halten soll.

Die Schieß­übung im Simula­tor ist Teil einer kosten­lo­sen eintä­gi­gen militä­ri­schen Schulung, die Polens Militär den Bürgern neuer­dings anbie­tet. Solda­ten zeigen den Umgang mit Waffen, richti­ges Verhal­ten in Gefah­ren­si­tua­tio­nen und Grund­la­gen der Orien­tie­rung im Gelän­de. «Ich denke, man braucht solche Fähig­kei­ten, das gibt ein größe­res Sicher­heits­ge­fühl», sagt Sofia Adach.

Die 40 Jahre alte Fitness­trai­ne­rin gehört zu den hundert Frauen und Männern, die an einem kühlen Herbst­sams­tag in das Ausbil­dungs­zen­trum für Luftfahrt­tech­ni­ker der polni­schen Streit­kräf­te in Deblin gekom­men sind. Hier, rund 140 Kilome­ter südlich von Warschau, absol­vie­ren sie den eintä­gi­gen Kurs «Trainie­re mit der Armee». Landes­weit wird das Programm an 17 Militär­stand­or­ten angeboten.

Angst vor Auswei­tung des Angriffs­kriegs wächst

In Polen wächst die Angst vor einer Auswei­tung des russi­schen Angriffs­kriegs gegen das Nachbar­land Ukrai­ne. Das EU- und Nato-Land Polen rüstet massiv gegen eine Bedro­hung durch Moskau auf. Es hat zuletzt mit den USA und Südko­rea Milli­ar­den­de­als über die Liefe­rung neuer Panzer, Haubit­zen und Kampf­flug­zeu­ge abgeschlos­sen. Die Truppen­stär­ke der Streit­kräf­te soll verdop­pelt werden. In dem Land mit rund 38 Millio­nen Einwoh­nern zählt das Militär aktuell 110.000 Solda­tin­nen und Solda­ten, hinzu kommen 30.000 Mitglie­der des freiwil­li­gen Heimat­schut­zes WOT. Es sollen in den kommen­den Jahren 250.000 Berufs­sol­da­ten und 50.000 Heimat­schüt­zer werden.

«Das polni­sche Militär muss zahlen­stär­ker werden, um einen Aggres­sor wirklich abzuschre­cken», sagte Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Mariusz Blaszc­zak kürzlich. Polen hat einen freiwil­li­gen Grund­wehr­dienst einge­führt — die Wehrpflicht wurde vor vielen Jahren abgeschafft. Und natür­lich soll auch das eintä­gi­ge Training mit dazu dienen, Bürger für die Streit­kräf­te zu werben. Aber nicht nur: «Wir wollen Voraus­set­zun­gen dafür schaf­fen, dass möglichst viele Menschen im Umgang mit Waffen, in Erster Hilfe und in Überle­bens­fer­tig­kei­ten geschult werden, also zum Beispiel in der Fähig­keit, ein Feuer zu machen oder Wasser aufzu­be­rei­ten», so Blaszczak.

Im Schieß­si­mu­la­tor in Deblin ermun­tert Stabs­un­ter­of­fi­zie­rin Porows­ka die Teilneh­mer. «Ich möchte, dass ihr so viel wie möglich schießt!» Für manche ist das nicht so einfach. «Ich musste erstmal meine Barrie­re brechen, eine Waffe anzufas­sen», sagt Malgorza­ta Wos (39). Das Training sei nützlich, um in einer Notsi­tua­ti­on nicht in Panik auszu­bre­chen, glaubt sie.

«Ich fürch­te, der Ukrai­ne-Krieg ist der Anfang von etwas Größe­rem. Und bei einem bewaff­ne­ten Konflikt will ich nicht weglau­fen», sagt Adam Krako­wi­ak. Der 28-jähri­ge Gabel­stap­ler­fah­rer überlegt, ob er Berufs­sol­dat werden oder dem freiwil­li­gen Heimat­schutz beitre­ten soll. Das Training soll ihm bei der Entschei­dung helfen.

Schieß­trai­ning und Handgra­na­ten werfen

Draußen auf dem Übungs­ge­län­de erklärt Feldwe­bel Mariusz Starosz den Umgang mit der Handgra­na­te. «Nach dem Werfen sofort in Deckung gehen, nicht gucken, wo sie landet!», schärft er den Teilneh­mern ein.

Beim Überle­bens­trai­ning darf auch ein wenig Pfadfin­der-Roman­tik nicht fehlen. Ein Ausbil­der für Fallschirm­sprin­ger zeigt, wie sich mit Messer­rü­cken, Feuer­stahl und Birken­rin­de ein Lager­feu­er entfa­chen lässt. In der Mittags­pau­se bekom­men die Teilneh­mer eine Ration Einsatz­ver­pfle­gung — komplett mit chemi­schem Erhit­zer, der nur mit Wasser vermischt werden muss. Nach zehn Minuten kocht das Essen in der Aluscha­le. Beson­ders die Männer sind begeistert.

«Natür­lich kann man Leute nicht an einem Tag zu Solda­ten ausbil­den», sagt Stabs­ober­fähn­rich Marcin Chrusci­cki, der den Kurs beglei­tet. Aber im Konflikt­fall könne es nicht schaden, wenn möglichst viele Bürger wüssten, wie man mit einer Waffe umgeht. Außer­dem sei das Ganze auch eine Image­kam­pa­gne: «Wir möchten den Menschen ein Gefühl der Sicher­heit vermit­teln, dass die Armee da ist.»

Von Doris Heimann, dpa