BERLIN (dpa) — Wahlsie­ger Olaf Scholz sieht einen klaren Wähler­auf­trag für die SPD. Er will mit Grünen und FDP verhan­deln. Armin Laschet will das auch. Trotz der krachen­den Nieder­la­ge der Union.

In der Union wächst der Wider­stand gegen die Strate­gie von Kanzler­kan­di­dat Armin Laschet, trotz der histo­ri­schen Nieder­la­ge bei der Bundes­tags­wahl auf Sondie­run­gen mit Grünen und FDP zu setzen.

Nieder­sach­sens CDU-Chef Bernd Althus­mann verlang­te: «Wir sollten jetzt demütig und respekt­voll den Wähler­wil­len anneh­men, mit Anstand und Haltung. Es war Verän­de­rung gewollt.» Hessens Minis­ter­prä­si­dent Volker Bouffier unter­strich: «Wir haben keinen Anspruch auf Regie­rungs­ver­ant­wor­tung.» Junge-Union-Chef Tilman Kuban sagte: «Wir haben die Wahl verlo­ren. Punkt.» Der klare Auftrag liege bei SPD, Grünen und FDP.

CDU-Wirtschafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er gratu­lier­te SPD, Grünen und FDP zu deren Abschnei­den bei der Bundes­tags­wahl. Gleich­zei­tig stell­te er in der Sendung «Frühstart» von RTL/ntv klar, dass die Union keinen Auftrag habe, die Regie­rungs­bil­dung voran­zu­trei­ben. «Dazu gehört die Feststel­lung, dass wir denen gratu­lie­ren, die bei dieser Wahl Stimmen hinzu­ge­won­nen haben», sagte er. Man könne selbst­be­wusst darauf hinwei­sen, dass die Union noch zweit­stärks­te Kraft sei.

Mit Blick auf mögli­che Jamai­ka-Sondie­run­gen sagte Altmai­er: «Wir formu­lie­ren keinen Regie­rungs­an­spruch, der gottge­ge­ben ist, aber wir entzie­hen uns nicht unserer staats­po­li­ti­schen Verantwortung.»

Verein­zelt Rufe nach Laschets Rücktritt

In der Union brodelt es, verein­zelt wurden bereits Rufe nach Laschets Rückzug laut. Obwohl die Union auf 24,1 Prozent abstürz­te und die SPD mit Olaf Scholz stärks­te Partei wurde, hatte der Kanzler­kan­di­dat der Union noch am Wahlabend bekräf­tigt, dass er eine Jamai­ka-Koali­ti­on mit FDP und Grünen anstrebt — mit denen auch die SPD regie­ren möchte. Die Sozial­de­mo­kra­ten leiten aus dem Ergeb­nis von 25,7 Prozent einen klaren Wähler­auf­trag ab.

Scholz will rasch eine Regie­rung bilden, er sieht genügend Gemein­sam­kei­ten mit Grünen und FDP. «Es gibt ja Schnitt­men­gen», beton­te er am Montag­abend im ZDF. Grünen-Kanzler­kan­di­da­tin Annale­na Baerbock sagte, das Land sehne sich nach den Jahren der großen Koali­ti­on nach einem neuen Aufbruch. Dreier­bünd­nis­se seien «nicht nur einfach, aber es kann eben auch das Momen­tum dafür geben, Dinge wirklich anders zu machen».

FDP-General­se­kre­tär Volker Wissing beton­te: «Am Ende muss man sich auf ein Konzept verstän­di­gen, das für das Land einen Mehrwert bringt.»

SPD will bald verhandeln

Erste Sondie­rungs­ge­sprä­che der SPD mit Grünen und FDP könnten nach Aussa­ge von Frakti­ons­chef Rolf Mützenich noch in dieser Woche geführt werden. «Grüne und FDP sind von uns einge­la­den worden, mit uns, wenn sie wollen, auch in dieser Woche bereits Sondie­rungs­ge­sprä­che zu führen», sagte er. «Wir sind bereit, nicht nur schnel­le, sondern auch verläss­li­che Gesprä­che zu führen», beton­te Mützenich.

Die Fragen von roten Linien in den Gesprä­chen, also unver­han­del­ba­ren Inhal­ten, stelle sich gerade nicht. Wichti­ge Inhal­te für die SPD lägen bei Mindest­lohn, Wohnraum und einem Umbau im Hinblick auf die Klima­kri­se. «Aber wir werden nicht in der Öffent­lich­keit Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen führen», beton­te Mützenich.

Der Frakti­ons­chef warnte Grüne und FDP, bei den Gesprä­chen einen anderen Stil an den Tag zu legen als nach der vergan­ge­nen Wahl 2017. «Ich glaube, beide kleinen Partei­en müssen sich klar darüber werden, dass das Schau­spiel, was sie vor vier Jahren hier manch­mal auf Balko­nen absol­viert haben, nicht den Aufga­ben gerecht wird», sagte er. Der ein oder andere mache sich offen­bar schon Gedan­ken darüber, «wo er in der Regie­rung, auf welchem Sessel er Platz nehmen kann».

Grüne und FDP treffen sich Mittwoch

Nach «Spiegel»-Informationen haben sich Grüne und FDP auf ein erstes Treffen am Mittwoch verstän­digt. FDP-Chef Chris­ti­an Lindner hatte noch am Wahlabend vorge­schla­gen, dass sich beide Partei­en vorab zusam­men­set­zen, um Schnitt­men­gen auszuloten.

Die SPD forder­te Laschet auf, auf Sondie­run­gen zu verzich­ten: «Niemand will Armin Laschet als Kanzler, und ich hoffe, dass er das in den nächs­ten Tagen auch reali­siert», sagte SPD-General­se­kre­tär Lars Kling­beil im Sender RTL.

Nach einer Civey-Umfra­ge ist tatsäch­lich eine große Mehrheit der Deutschen dagegen, dass Laschet versu­chen will, eine Regie­rung zu bilden. 71 Prozent der Bürger halten das für eindeu­tig oder zumin­dest eher falsch, wie die reprä­sen­ta­ti­ve Befra­gung für die «Augsbur­ger Allge­mei­ne» (Diens­tag) ergab. Nur 22 Prozent der 5031 online Befrag­ten befür­wor­te­ten einen solchen Schritt.

An diesem Diens­tag kommen die neuen Fraktio­nen von SPD, Union, Grünen und Linken zu ersten Beratun­gen zusam­men. Bei der konsti­tu­ie­ren­den Sitzung der stark geschrumpf­ten Unions­frak­ti­on könnten schon erste Weichen gestellt werden. Auf der Tages­ord­nung steht auch die Neuwahl des Frakti­ons­chefs, die für politi­schen Zündstoff sorgen könnte.

Kommt es zum Macht­kampf in der Union?

Laschet hatte angekün­digt, er wolle gemein­sam mit CSU-Chef Markus Söder vorschla­gen, dass der bishe­ri­ge Vorsit­zen­de Ralph Brink­haus (CDU) «in der Phase dieser Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen» Frakti­ons­chef sein solle. Dies sorgte für Unmut bei Brink­haus, der sich wie üblich für ein Jahr wählen lassen wollte. In dem Fall fürch­ten Mitglie­der der CDU-Führung Kampf­kan­di­da­tu­ren um den Posten.

Hinter­grund: Sollte es Laschet nicht gelin­gen, eine Jamai­ka-Koali­ti­on zu bilden und die Union in der Opposi­ti­on landen, wäre der Posten des Frakti­ons­vor­sit­zen­den einer der mächtigs­ten in der Union.

Söder erklär­te am Montag­abend in der ARD, mit Brink­haus habe die CSU «sehr gute Erfah­run­gen» gemacht. «Es gäbe auch Andere, aber das wäre eine Option», sagte er. Mögli­cher­wei­se werde es einen gemein­sa­men Vorschlag beider Partei­vor­sit­zen­den geben. CDU-Präsi­di­ums­mit­glied Norbert Röttgen plädier­te dafür, die Frakti­ons­füh­rung erst später zu bestim­men. Über das Wahler­geb­nis müsse erst einmal disku­tiert werden, bevor sofort perso­nal- und macht­po­li­tisch Pflöcke einge­schla­gen würden, sagte er in der ARD.

Laschet hatte vor der Wahl erklärt, er gehe «ohne Rückfahr­kar­te» nach Berlin — auch wenn er nicht Kanzler werde. Es wird erwar­tet, dass er bis zur konsti­tu­ie­ren­den Sitzung des Bundes­tags am 26. Oktober Minis­ter­prä­si­dent in NRW bleibt. Die Landes-CDU will bis Ende der nächs­ten Woche die Weichen für die Nachfol­ge stellen.

Klöck­ner tritt nicht mehr in Rhein­land-Pfalz an

Eine perso­nel­le Erneue­rung zeich­net sich auch bei der CDU in Rhein­land-Pfalz ab. Die CDU-Landes­vor­sit­zen­de Julia Klöck­ner will bei der Vorstands­wahl am 20. Novem­ber nicht mehr kandi­die­ren, wie sie am Montag­abend mitteil­te. Klöck­ner hatte die Landes-CDU als Spitzen­kan­di­da­tin in die Bundes­tags­wahl geführt, unter­lag im Kampf um das Direkt­man­dat, kehrt aber über die Landes­lis­te in den Bundes­tag zurück.

Schles­wig-Holsteins Minis­ter­prä­si­dent Daniel Günther (CDU) fordert eine Perso­nal­de­bat­te in der CDU für den Fall, dass die Verhand­lun­gen mit Grünen und FDP schei­tern. Nach einem solchen Wahler­geb­nis könne man nicht «Weiter so» sagen, sagte er der Funke Medien­grup­pe. «Aber die Perso­nal­de­bat­te darüber sollte man dann führen, wenn wir wissen, dass ein Jamai­ka-Bündnis keine Chance hat.»

Nieder­sach­sens CDU-Chef Althus­mann sieht nun andere Partei­en am Zug: «Die CDU ist immer bereit, Verant­wor­tung zu überneh­men. Zum gegen­wär­ti­gen Zeitpunkt bleibt aber abzuwar­ten, ob es nicht doch am Ende zu einer roten Ampel kommt», sagte er der «Hanno­ver­schen Allge­mei­nen Zeitung». Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er (CDU) empfahl seiner Partei in der «Rheini­schen Post» eine «Porti­on Demut».