Nach einem Gerichts­ur­teil lockert die Landes­re­gie­rung die Regeln für Ausgangs­be­schrän­kun­gen. Das sei aber noch lange kein Grund zur Entwar­nung, sagt Regie­rungs­chef Kretsch­mann — und drückt vor der Konfe­renz mit Kanzle­rin und Minis­ter­prä­si­den­ten auf die Bremse.

STUTTGART (dpa/lsw) — Nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen gelten in Baden-Württem­berg von Donners­tag an nicht mehr landes­weit, sondern nur noch in regio­na­len Corona-Hotspots. Ab einem Schwel­len­wert von 50 Infek­tio­nen pro 100 000 Einwoh­ner in einer Woche gilt eine Sperre zwischen 21.00 und 05.00 Uhr, wie Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) am Diens­tag in Stutt­gart verkün­de­te. Nach jüngs­ten Zahlen des Landes­ge­sund­heits­amts beträ­fe das immer noch mehr als die Hälfte der 44 Stadt- und Landkreise.

Auch die Ausgangs­be­schrän­kun­gen am Tag werden aufge­ho­ben — zwischen 05.00 und 20.00 Uhr sollte man bislang nur aus trifti­gem Grund die Wohnung verlas­sen — etwa um zur Arbeit, zum Einkau­fen oder zum Arzt zu gehen. Zuvor hatte der Verwal­tungs­ge­richts­hof in Mannheim die landes­wei­te Ausgangs­sper­re von 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr gekippt.

Zu der Umstel­lung auf eine regio­na­le Lösung sagte Kretsch­mann: «Wir hatten das ohnehin vor.» Er habe das am Sonntag mit dem Chef seiner Staats­kanz­lei bespro­chen. «Am Montag hätten wir das gemacht.» Das Gericht sei dann der Regie­rung zuvor­ge­kom­men. «Das wär anders­rum schöner gewesen, aber es ist nun mal so.»

Der Grünen-Politi­ker sieht trotz sinken­der Infek­ti­ons­zah­len keinen Grund zur Entwar­nung. Die neuen Mutatio­nen des Virus verbrei­te­ten sich schon stark, sagte Kretsch­mann. «Das bringt eine erheb­li­che Unsicher­heit in die Planung rein.» Vor der Konfe­renz mit Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) und den anderen Minis­ter­prä­si­den­ten sei man sich einig, dass Kitas und Grund­schu­len wieder geöff­net werden sollen. «Wir gehen jetzt erstmal stufen­wei­se vor. Priori­tät haben Kinder­ta­ges­stät­ten und Grund­schu­len. Darin besteht Konsens zwischen Kanzle­rin und Ministerpräsidenten.»

Grund­schu­len und Kitas werden ein zentra­les Thema beim nächs­ten Corona-Krisen-Gipfel an diesem Mittwoch sein. Die Kultus­mi­nis­ter der Länder sprechen sich bei weiter sinken­den Corona-Zahlen dafür aus, dass die Schulen ab der kommen­den Woche schritt­wei­se wieder aufmachen.

Auch Kultus­mi­nis­te­rin Susan­ne Eisen­mann (CDU) drängt auf eine Öffnung von Grund­schu­len und Kitas nach den Faschings­fe­ri­en: «Die Situa­ti­on von Famili­en und von Kindern, insbe­son­de­re von kleinen Kindern, ist beängs­ti­gend.» Sie warb erneut für Massen­tests, um das Virus besser im Griff zu behal­ten und Locke­run­gen ins Auge fassen zu können.

Kretsch­mann sagte, Öffnun­gen in anderen Berei­chen wie bei Frisö­ren, Geschäf­ten und Gastro­no­mie müssten schritt­wei­se und entlang der Infek­ti­ons­zah­len erfol­gen. Die Kontakt­be­schrän­kun­gen — Kern des Lockdowns — sollen über den 14. Febru­ar hinaus weiter gelten. Demnach darf sich ein Haushalt nur mit einer weite­ren Person treffen.

Merkel und die Regie­rungs­chefs der Länder entschei­den nun darüber, wie es nach dem bis Sonntag gelten­den Lockdown weiter­geht. Kretsch­mann warb um Verständ­nis, dass es wegen der neuen aggres­si­ve­ren Virus­va­ri­an­ten keine Planungs­si­cher­heit geben könne. «Ich sehe nicht, dass wir schon Termi­ne festle­gen können.» Er halte es aller­dings für denkbar, dass man die Termi­ne «streng an Inzidenzi­en» festma­che. «Ich persön­lich glaube nicht, dass es dazu einen Konsens geben wird.»

Der Regie­rungs­chef vertei­dig­te erneut die bundes­weit schärfs­ten Regelun­gen am Abend und in der Nacht. Sie seien einer der Gründe, warum Baden-Württem­berg bei den Fallzah­len am besten daste­he. Die sogenann­te Sieben-Tage-Inzidenz lag landes­weit bei 59,2. Auch Gesund­heits­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) sagte, er halte die Ausgangs­be­schrän­kun­gen weiter für sinnvoll. Er habe Gerichts­ur­tei­le nicht zu kommen­tie­ren. Wenn man nicht schaf­fe, priva­te Kontak­te zu reduzie­ren, werde sich das Virus weiter verbreiten.

Kretsch­mann beton­te, die Regelung werde auch eine gewis­se Schwan­kung um den Schwel­len­wert 50 berück­sich­ti­gen, damit man bei kleine­ren Verän­de­run­gen nicht immer den Kurs ändern müsse. Im Entwurf des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums heißt es dazu, die Ausgangs­be­schrän­kung trete in Kraft, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 an drei Tagen in Folge überschrit­ten und das zustän­di­ge Gesund­heits­amt zugleich ein «diffu­ses Infek­ti­ons­ge­sche­hen» feststel­le — also wenn man einen Anstieg nicht genau zuord­nen kann, etwa in einem Pflegeheim.

Hinter­grund für das Tempo ist auch, dass man über Fastnacht keine Lücke bei den Ausgangs­be­schrän­kun­gen lassen möchte. «Ich gehe davon aus, dass keine Fastnacht statt­fin­det in dem gewohn­ten Rahmen», sagte Kretsch­mann. Er habe die begrün­de­te Hoffnung, dass sich Leute an die Regelun­gen halten werden.

Nach Zahlen des Landes­ge­sund­heits­amts vom Montag liegen 18 der 44 Stadt- und Landkrei­se unter dem Wert 50. Erstmals seit dem 10. Oktober unter­schritt auch die Landes­haupt­stadt Stutt­gart wieder diese Schwel­le. Auch Städte wie Tübin­gen (30,6) Heidel­berg (35,9), Freiburg (46,7) oder Karls­ru­he (49,0) sind darun­ter. Mannheim (63,4) und Ulm (62,3) und Pforz­heim (76,2) liegen noch darüber. Vier Stadt- und Landkrei­se im Südwes­ten befin­den sich noch über 100: der Hohen­lo­he­kreis (130,5), Heilbronn (115,3), der Landkreis Calw (105,5) und der Kreis Walds­hut (103,5).

Der Verwal­tungs­ge­richts­hof hatte verfügt, dass die nächt­li­che Ausgangs­sper­re zum letzten Mal in der Nacht von Mittwoch auf Donners­tag Anwen­dung finden darf. Das Gericht gab dem Eilan­trag einer Kläge­rin aus Tübin­gen statt, weil die Maßnah­me angesichts der regio­nal sinken­den Zahlen nicht mehr verhält­nis­mä­ßig sei. FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke kriti­sier­te auch die neue Regelung: «Es darf jetzt keine neue Gänge­lung der Bevöl­ke­rung geben.»