BERLIN/MÜNCHEN (dpa) — Großes Drama im Unions-Machtkampf um die K‑Frage: Nach nächtlichen Beratungen der Rivalen legt die CSU die Entscheidung allein in CDU-Hände. Der Vorstand berät nun in einer digitalen Sondersitzung.
CDU-Chef Armin Laschet hat im Machtkampf mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder erneut seine Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur betont.
«Es geht um die besten Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen. Und ich bin bereit, für uns die Kandidatur zu übernehmen», sagte Laschet am Abend nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin in einer digitalen Sondersitzung des CDU-Vorstands.
Laschet betonte demnach, er wolle jeden ermutigen, in der Runde offen seine Meinung zu sagen. Er wurde mit den Worten zitiert: «Nur wenn wir offen, ganz transparent sind, haben wir eine Chance, gestärkt in die nächsten Wochen und in den Wahlkampf zu gehen.»
Laschet hatte zuvor beim digital organisierten 22. Deutschen Bankentag in der K‑Frage aufs Tempo gedrückt. Er glaube, dass «alle den Willen haben, es so schnell wie möglich zu entscheiden, so einvernehmlich wie möglich zu entscheiden». Die CDU habe Söders Ankündigung gehört, dass er die Entscheidung dieses Gremiums respektieren werde. Söder hatte die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur in die Hand der CDU gelegt und erklärt, dass er sie respektieren werde, egal wie sie ausgehe.
Die CDU entscheide jetzt «souverän», sagt Söder und verspricht, mehrfach: «Wir als CSU und auch ich respektieren jede Entscheidung.» Ob aber nach einem Votum, welches Gremium auch immer es fällt, wirklich wieder Ruhe einkehrt, bleibt abzuwarten. Schon morgen Nachmittag in der Unionsfraktionssitzung könnte sich erneut viel angestauter Frust unkontrolliert entladen.
Für Laschet, im Januar erst zum CDU-Vorsitzenden gewählt, haben nun die entscheidendsten Stunden seiner Karriere begonnen. Denn auch wenn Söder sich bemüht, mögliche Schäden für die Union aus dem Personaldrama klein zu reden, ist die Union in einer extrem schwierigen Lage, Parteimitglieder bezeichnen sie als «paralysiert».
Bereits in der Nacht zum Montag waren alle, die auf ein Ende im Machtkampf gehofft hatten, eines Besseren belehrt worden. Laschet und Söder, die die Union fünf Monate vor der Wahl in die tiefste Krise seit Jahren gestürzt haben, gehen nach einem dreieinhalbstündigen Nacht-Gipfel im Bundestagsgebäude ohne eine Lösung auseinander. Keine Einigung. Keiner der beiden ist bereit, zu verzichten.
Und nur Stunden später, während sich die Union sozusagen selbst zerfleischt, müssen CDU und CSU live mitverfolgen, wie bei den Grünen mit bester Laune und in demonstrativer Harmonie Annalena Baerbock zu deren Kanzlerkandidatin gekürt wird. Co-Parteichef Robert Habeck steckt zurück. «In dieser Situation führt der gemeinsame Erfolg dazu, dass einer einen Schritt zurücktreten muss», sagt Habeck. Krasser könnten die Gegensätze an diesem denkwürdigen Montag nicht sein.
Am Montag reist Söder unverrichteter Dinge zurück nach Bayern. Laschet bleibt in Berlin. Erst trifft er Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Dieser habe versucht, zwischen Laschet und Söder zu vermitteln, heißt es. Aber wie? Es gibt auch an diesem Montag viel mehr Fragen als Antworten. Dann fährt Laschet in die CDU-Zentrale.
Wenig später folgen die Auftritte Laschets in Berlin und Söders in München. Beide Seiten wollen, so scheint es, eine Lösung vor der Fraktionssitzung am Dienstag. Soll eine Abstimmung dort verhindert werden, um die Union nicht vollends in die Spaltung zu treiben?
Tatsächlich steht die CSU fest zu Söder, während die Lage bei der CDU, vorsichtig gesagt, heterogen ist: Die Parteiführung hatte sich vergangene Woche zwar zu Laschet bekannt — aber eben, wie zwischen den Rivalen vereinbart, nicht per formalem Beschluss. Dass Söder dies nicht ausreichte, damit brachte er viele CDU-Granden gegen sich auf.
Doch an der CDU-Parteibasis zeigt sich eben bundesweit vielerorts ein anderes Bild. Viele Unions-Anhänger hätten gern den Umfrage-Liebling Söder als Kandidaten. Auch die Mehrheit der Landesverbände der Jungen Union (JU) plädiert in einer Schalte am Sonntagabend für Söder.
Laschet steht nun also vor seinem entscheidenden Kampf: Kann er den CDU-Vorstand weiter mehrheitlich hinter sich versammeln und zugleich auch die Zweifler an seiner eigenen Basis von sich überzeugen? Wie stimmen all diejenigen Vertreter im Zweifel ab, die zwar persönlich für Laschet sind, deren Verbände aber eine klare Präferenz für Söder haben? Zunächst bleibt offen, ob Laschet eine Abstimmung im Vorstand bereits am Montagabend will — oder was genau er dort nun vorhat.
Der CDU-Chef könnte darauf setzen, dass der Vorstand ihn nicht gleich wieder beschädigen will. Bei den Söderianern in der CDU könnte ein solches Vorgehen aber wieder für Empörung sorgen. Schon jetzt heißt es von Abgeordneten, Laschet nehme die CDU in Geiselhaft, wenn er sie geradezu zwinge, für ihn und nicht für Söder zu stimmen.
Obwohl ihn Laschet eingeladen hat, will Söder nicht an der CDU-Schalte teilnehmen. Er unterstreicht damit, dass der Ball nun einzig und allein bei Laschet liegt. Söder will zwar weiter Kanzlerkandidat werden. Mit seinem Schachzug, die Verantwortung nun allein der CDU in die Hände zu geben, hat er sich nun aber auch die wohl bestmögliche, gesichtswahrende Exit-Option geschaffen. Er muss nicht einfach so von sich aus einknicken, sondern er würde sich dann schlicht und einfach dem Votum der großen Schwesterpartei fügen. Und könnte dann, wenn die Bundestagswahl schief geht, nach dem Motto argumentieren: Ich hätte gewollt — aber ihr habt mich nicht lassen.
Laschet dagegen steht maximal unter Druck — vor der Entscheidung über die K‑Frage selbst, aber auch, sollte er der Kanzlerkandidat werden. Letztlich muss die Abstimmung zur K‑Frage in der CDU damit auch als Vertrauensfrage der Partei über ihren eigenen Chef angesehen werden.
Wie der Machtkampf am Ende auch ausgeht: Die Union steht nach dieser Krisen-Woche vor einem Scherbenhaufen sondergleichen. Von Einheit ist fünf Monate vor der Wahl keine Spur mehr. Die Gräben sind so tief wie seit der Flüchtlingsfrage nicht mehr, die Verletzungen schwer. Wie soll da die Wiedereroberung des Kanzleramts gelingen?
Und das, seit heute steht es nun fest, unter anderem gegen eine Grünen-Kanzlerkandidatin, die mit ihrer Partei aktuell das genaue Gegenteil von all dem präsentiert, was die Union mit ihren beiden machthungrigen Parteivorsitzenden in den vergangenen Tagen aufgeführt hat? Wer von beiden — Laschet oder Söder — kann es wohl besser mit Baerbock aufnehmen? Die Lage ist für die Union riskanter denn je.
Von Christoph Trost, Marco Hadem und Jörg Blank, dpa