LISSABON (dpa) — «Man handelt ja immer in der Zeit, in der man ist»: Altkanz­le­rin Merkel glaubt, dass der Bezug von billi­gem Erdgas aus Russland «aus der damali­gen Perspek­ti­ve richtig war».

Altbun­des­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) hat die Entschei­dung frühe­rer Jahre vertei­digt, für eine Übergangs­zeit während der Energie­wen­de sehr stark auf billi­ges Erdgas aus Russland gesetzt zu haben. «Für die Trans­for­ma­ti­ons­zeit war klar, dass wir Erdgas brauchen, um dann natür­lich eines Tages zu CO2-freien Energie­for­men vollstän­dig zu kommen», sagte sie bei einer Veran­stal­tung der Stiftung Calous­te Gulben­ki­an in der portu­gie­si­schen Haupt­stadt Lissabon.

«Aus der damali­gen Perspek­ti­ve war es sehr ratio­nal und nachvoll­zieh­bar, leitungs­ge­bun­de­nes Gas auch aus Russland zu bezie­hen, das billi­ger war als das LNG (Flüssig­gas) aus anderen Gegen­den der Welt — USA, Saudi-Arabi­en, Katar», fügte Merkel hinzu. Durch enorme Preis­stei­ge­run­gen und Liefer­aus­fäl­le in der Folge des russi­schen Angriffs­krie­ges in der Ukrai­ne droht Deutsch­land inzwi­schen im kommen­den Jahr eine Rezession.

«Man handelt ja immer in der Zeit, in der man ist», warb Merkel um Verständ­nis. Es sei für die deutsche Politik klar gewesen, dass die gesam­te Energie­ver­sor­gung umgestellt werden müsse. «Wir sind aus der Kernener­gie (…) ausge­stie­gen. Wir wollten Schritt für Schritt — und wollen das ja immer noch — aus der Kohle ausstei­gen», rief sie in Erinnerung.

Sie sagte zudem: «Selbst im Kalten Krieg war Russland ein verläss­li­cher Energie­lie­fe­rant. Ich hab nie daran geglaubt, dass es sowas gibt wie Wandel durch Handel, aber durch­aus Verbin­dung durch Handel. Und insofern bereue ich Entschei­dun­gen überhaupt nicht sondern glaube, dass es aus der damali­gen Perspek­ti­ve richtig war», beharr­te Merkel.

Merkel: Überfall Russlands ist «Zäsur»

Zudem sei die Dring­lich­keit, den Klima­wan­del zu bekämp­fen, zum Ende ihrer Amtszeit immer offen­sicht­li­cher gewor­den. «Und trotz­dem hat dieser bruta­le Überfall Russlands jetzt eine Verän­de­rung gebracht. Das ist eine Zäsur. Und mit der muss die neue Regie­rung natür­lich umgehen, und das tut sie ja auch», sagte die Altkanz­le­rin, die 16 Jahre bis vergan­ge­nen Dezem­ber Regie­rungs­chefin war.

Merkel war in Lissa­bon, weil sie die Präsi­den­tin der Jury ist, die den Gewin­ner des Preises für Mensch­lich­keit der Stiftung Gulben­ki­an auswählt. Der mit einer Milli­on Euro dotier­te Preis war 2020 von der Stiftung mit Sitz in Lissa­bon ins Leben gerufen worden, um Perso­nen, Perso­nen­grup­pen oder Organi­sa­tio­nen auszu­zeich­nen, die sich im Kampf gegen die Klima­kri­se durch origi­nel­le, innova­ti­ve und wirksa­me Leistun­gen hervor­ge­tan haben. In diesem Jahr wurden der Weltkli­ma­rat IPCC und der Weltbio­di­ver­si­täts­rat IPBES ausge­zeich­net. 2020 ging der Preis an die schwe­di­sche Klima­ak­ti­vis­tin Greta Thunberg und 2021 an den Coven­ant of Mayors for Clima­te and Energy, ein Bündnis von mehr als 10.000 Städten und Kommu­nal­ver­wal­tun­gen aus 140 Ländern, darun­ter auch Portugal.

Calous­te Gulben­ki­an war ein reicher armeni­scher Unter­neh­mer. Er starb 1955 und hatte in seinem Testa­ment die Gründung der Stiftung verfügt.