Der Sturm auf das Kapitol in Washing­ton löst auch in Deutsch­land Erschüt­te­rung aus. In der Schuld­fra­ge ist man ziemlich einig. Wohl noch nie haben Bundes­re­gie­rung und Bundes­prä­si­dent einen US-Präsi­den­ten so scharf attackiert. Es gibt aber auch Hoffnung.

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er und Kanzle­rin Angela Merkel haben sich erschüt­tert über die Ausschrei­tun­gen in den USA gezeigt und Präsi­dent Donald Trump mitver­ant­wort­lich dafür gemacht.

Stein­mei­er warf Trump am Donners­tag vor, den «bewaff­ne­ten Mob» aufge­sta­chelt zu haben, der das Kapitol gestürmt hat. «Es war ein Sturm auf das Herz der ameri­ka­ni­schen Demokra­tie», sagte er. «Diese Szenen, die wir gesehen haben, die sind das Ergeb­nis von Lügen und noch mehr Lügen, von Spalte­rei und Demokra­tie­ver­ach­tung, von Hass und Hetze.»

Merkel sagte, die Bilder aus Washing­ton hätten sie «wütend und auch traurig gemacht». Trump habe seine Nieder­la­ge bei der Präsi­den­ten­wahl am 3. Novem­ber bedau­er­li­cher­wei­se nicht einge­stan­den. «Das hat natür­lich die Atmosphä­re berei­tet, in der dann auch solche Ereig­nis­se, solche gewalt­tä­ti­gen Ereig­nis­se möglich sind.»

Auch Vizekanz­ler Olaf Scholz gab Trump eine Mitschuld an der Gewalt. Trump habe viele Menschen «aufge­sta­chelt und auch nicht zurück­ge­hal­ten», sagte der Finanz­mi­nis­ter und SPD-Kanzler­kan­di­dat in einem RTL/n‑tv-Inter­view. «Das ist ganz klar etwas, was man erlebt, wenn Populis­ten Macht bekommen.»

Am Mittwoch waren Protes­te wüten­der Anhän­ger Trumps in der Haupt­stadt Washing­ton eskaliert und hatten das politi­sche Zentrum der USA zeitwei­se in beispiel­lo­ses Chaos gestürzt. Bei den Ausschrei­tun­gen kamen nach Angaben der Polizei vier Menschen ums Leben.

Trump war kurz vor der Kongress­sit­zung zur Bestä­ti­gung der Wahler­geb­nis­se vor seinen Anhän­gern aufge­tre­ten. Er hatte dabei seine unbeleg­ten Wahlbe­trugs­vor­wür­fe wieder­holt und seine Unter­stüt­zer dazu aufge­ru­fen, zum Kapitol — dem Sitz des US-Parla­ments — zu ziehen. Anschlie­ßend erstürm­ten Randa­lie­rer das Gebäude.

Stein­mei­er sagte, dies sei eine «histo­ri­sche Zäsur» für die USA. «Und es ist ein Angriff auf die libera­le Demokra­tie überhaupt.» Er sei sich aber sicher, dass die US-Demokra­tie stärker sei als der Hass. «Die Insti­tu­tio­nen der Demokra­tie sind mächti­ger als Lügen und Hetze.»

Merkel nannte die Bilder aus Washing­ton verstö­rend. «Eine Grund­re­gel der Demokra­tie ist: Nach Wahlen gibt es Gewin­ner und Verlie­rer», sagte sie. «Beide haben ihre Rolle mit Anstand und Verant­wor­tungs­be­wusst­sein zu spielen, damit die Demokra­tie selbst Sieger bleibt.»

Zugleich zeigten sich sowohl Merkel als auch Stein­mei­er mit Blick auf die für den 20. Januar geplan­te Verei­di­gung des neuen Präsi­den­ten Joe Biden zuver­sicht­lich. Die Kanzle­rin sagte, die Worte Bidens und viele Reaktio­nen aus beiden großen Partei­en der USA machten sie sicher: «Diese Demokra­tie wird sich als viel stärker erwei­sen als die Angrei­fer und Randa­lie­rer.» Die USA würden am 20. Januar «ein neues Kapitel ihrer Demokra­tie eröff­nen». Auch Stein­mei­er sagte: «Die Fackel der Demokra­tie wird wieder heller leuchten.»

Der Bundes­prä­si­dent erinner­te im Zusam­men­hang mit dem Sturm auf das Kapitol an die Szenen aus dem vergan­ge­nen Jahr, als Demons­tran­ten bis auf die Stufen vor dem Reichs­tags­ge­bäu­de vorge­drun­gen waren. «Deshalb sende ich diese Botschaft heute auch an uns alle: Hass und Hetze gefähr­den die Demokra­tie, Lügen gefähr­den die Demokra­tie, Gewalt gefähr­det die Demokra­tie.» Daran sollte man gerade in den schwe­ren Zeiten der Corona-Pande­mie und gerade im Wahljahr denken. «Die Demokra­tie ist unser kostbars­tes Gut. Sie lebt vom Engage­ment ihrer Bürge­rin­nen und Bürger, sie braucht den Respekt vor ihren Regeln und Institutionen.»

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karren­bau­er forder­te, aus den Ereig­nis­sen in Washing­ton auch Schlüs­se für den Schutz des Bundes­ta­ges zu ziehen. Die Ausschrei­tun­gen seien Folge einer schon länger andau­ern­den geisti­gen und politi­schen Brand­stif­tung, sagte die Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin bei «Welt»-TV. «Die Unver­sehrt­heit des Bundes­ta­ges, sie muss gegen alle Angrif­fe vertei­digt werden, auch das lehren uns die Bilder aus Amerika.»

Die Ausschrei­tun­gen am Kapitol wurden partei­über­grei­fend verur­teilt — auch von der AfD. «Die AfD lehnt jede Form von Gewalt und Anarchie ab. Was da gesche­hen ist, das ist erschre­ckend, verstö­rend und völlig indis­ku­ta­bel», sagte Partei­chef Jörg Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Einen Vergleich mit den Vorfäl­len auf der Treppe des Reichs­tags­ge­bäu­des hält er aller­dings für unange­mes­sen. «Das hatte eine völlig andere Dimen­si­on.» Damals hatten bei einer Demons­tra­ti­on Gegner der staat­li­chen Anti-Corona-Maßnah­men eine Absper­rung am Reichs­tags­ge­bäu­de durch­bro­chen, einige versuch­ten, sich Zugang zu verschaf­fen. Wenige Polizei­be­am­te dräng­ten die Menschen zurück.

Auch Außen­mi­nis­ter Heiko Maas (SPD) hatte noch in der Nacht auf Twitter eine Paral­le­le zwischen dem Sturm auf das Kapitol und den Ereig­nis­sen vor dem Reichs­tags­ge­bäu­de gezogen: «Aus aufrüh­re­ri­schen Worten werden gewalt­sa­me Taten — auf den Stufen des Reichs­ta­ges, und jetzt im Capitol. Die Verach­tung demokra­ti­scher Insti­tu­tio­nen hat verhee­ren­de Auswirkungen.»

Links­frak­ti­ons­chef Dietmar Bartsch warf Trump vor, einen Staats­streich angezet­telt und seine Anhän­ger «auf einen Feldzug gegen die Demokra­tie geschickt» zu haben. Die Bilder des «blind­wü­ti­gen Mobs, der Washing­ton ins Chaos stürzt», zeigten eine neue Quali­tät, mit der sich die extre­me Rechte an die Macht klamme­re, schrieb er auf Twitter.