Impfen, Testen, Lockern — Die Sehnsucht nach dem Ausbre­chen aus dem Corona-Korsett ist groß. Vor der nächs­ten Bund-Länder-Runde treten maßgeb­li­che Teilneh­mer auf die Bremse.

BERLIN (dpa) — Wenige Tage vor den neuen Bund-Länder-Beratun­gen hat Kanzle­rin Angela Merkel Hoffnun­gen auf sehr schnel­le und umfas­sen­de Locke­run­gen der stren­gen Kontakt­be­schrän­kun­gen mit der Einfüh­rung der Corona-Selbst­tests gedämpft.

Der bayeri­sche Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder warnte vor «Öffnungs­hek­tik». Kanzle­rin und Minis­ter­prä­si­den­ten beraten am Mittwoch erneut. Der Druck aus der Wirtschaft ist groß, unter anderem der Handel fordert, die Wieder­eröff­nung der Innen­städ­te nicht vom Errei­chen einer Inzidenz von 35 Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­nern in sieben Tagen abhän­gig zu machen. Mehre­re Bundes­län­der haben bereits für Anfang kommen­de Woche über Friseur­lä­den hinaus die Öffnung etwa von Garten­märk­ten und Blumen­lä­den angekündigt.

Hoffnun­gen für mehr Norma­li­tät richten sich auch auf Schnell­tests, die geschul­tes Perso­nal vorneh­men sollen, und auf Laien-Selbst­tests. Merkel sagte nach Beratun­gen beim EU-Gipfel, es müsse zunächst gründ­lich geprüft werden, «ob wir uns durch ein vermehr­tes Testen auch mit diesen Selbst­tests einen Puffer erarbei­ten können, so dass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35». Man könne trotz der Selbst­tests weder auf Inziden­zen generell verzich­ten noch sofort öffnen.

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Söder mahnte: «Wir wollen schritt­wei­se öffnen, aber mit Vernunft und Vorsicht. Wir dürfen angesichts der Mutati­on keinen Blind­flug starten. Eine generel­le Öffnungs­hek­tik hilft nieman­dem.» Mit Blick auf Stufen­plä­ne mahnte der CSU-Chef im Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND), man müsse hier aufpas­sen, «dass am Ende nicht ein Datum alle nächs­ten Schrit­te bestimmt». Steue­rungs­in­stru­ment sollten aus Sicht Söders Inzidenz­zah­len sein.

Baden-Württem­berg schlug in einem Impuls­pa­pier für die Bund-Länder- Runde vor, mit Hilfe von Schnell­tests unter anderem Teile des Einzel­han­dels und der Gastro­no­mie sowie Museen zu öffnen. Veran­stal­ter und Betrei­ber der Einrich­tun­gen «müssen dafür Sorge tragen, dass nur Besuche­rin­nen und Besucher Zutritt erhal­ten, die einen negati­ven Test vorwei­sen können», heißt es in dem der dpa vorlie­gen­den Papier aus dem Staats­mi­nis­te­ri­um von Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne). «In bestimm­ten Berei­chen und zu bestimm­ten Anläs­sen können wir uns so ein Stück Freiheit zurück­ho­len, ohne dass dies auf Kosten der Sicher­heit geht», heißt es in dem Papier.

Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) hatte ursprüng­lich angekün­digt, dass ab 1. März ein Angebot für alle Bürger kommen solle, sich kosten­los von geschul­tem Perso­nal mit Antigen-Schnell­tests testen zu lassen — etwa in Testzen­tren, Praxen oder Apothe­ken. Darüber soll nun aber erst bei den Bund-Länder-Beratun­gen am 3. März gespro­chen werden.

Der Präsi­dent des Deutschen Städte­ta­ges, Burkhard Jung, forder­te Klarheit bei der Beschaf­fung und Finan­zie­rung von Schnell­tests. Grund­sätz­lich seien Schnell- und Selbst­tests eine «gute Übergangs­lö­sung», sagte Jung der «Rheini­schen Post». Sie könnten bei einzel­nen Öffnungs­schrit­ten helfen. Man dürfe sich damit aber nicht in falscher Sicher­heit wiegen, weil die Ergeb­nis­se nur für den Augen­blick gelten, mahnte Jung.

Söder regte unter­des­sen eine neue Priori­sie­rung beim Astra­ze­ne­ca-Impfstoff an, dem viele Menschen reser­viert gegen­über­ste­hen und von dem bisher nur ein Bruch­teil der bereit­ste­hen­den Dosen verab­reicht wurde. «Wenn es so weiter­geht, werden wir auf einem Berg von Astra­ze­ne­ca-Impfdo­sen sitzen­blei­ben. Das kann niemand wollen bei einem Impfstoff, der gut schützt», sagte der CSU-Chef dem RND. «Sollte sich der Trend bei Astra­ze­ne­ca fortset­zen, hat es keinen Sinn, dafür ständi­ge neue Priori­sie­run­gen vorzu­neh­men. Sinnvoll wäre es dann, Astra­ze­ne­ca gleich über die Ärzte­schaft zu verimp­fen. Denn wir sollten so rasch wie möglich alles verimp­fen, was geht», sagte Söder.

Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow entgeg­ne­te, in seinem Bundes­land werde Astra­ze­ne­ca gut angenom­men. «Zudem ist es nicht hilfreich, wenn dieser sehr gute Impfstoff jetzt völlig ungerecht­fer­tigt ein Laden­hü­ter-Image verpasst bekommt», sagte Ramelow dem RND.

Der Vorsit­zen­de des Weltärz­te­bun­des, Frank Ulrich Montgo­me­ry, sagte voraus, in zwei Monaten werde Deutsch­land eine «Schwem­me an Impfstof­fen» haben, mit der die Impfzen­tren überfor­dert seien. Darauf sei man nicht ausrei­chend vorbe­rei­tet. Man müsse sich schon jetzt Gedan­ken über Trans­port­we­ge zu den Hausarzt­pra­xen und die Impf-Infra­struk­tur machen, sagte Montgo­me­ry im RTL/ntv-Inter­view. «Das alles muss jetzt geplant werden und ich sehe schon jetzt mit Grausen, wie wir dann wieder von einer Ad-Hoc-Lösung in die nächs­te Ad-Hoc stolpern, weil es keinen präzi­sen Plan gibt», warnte der Ärztefunktionär.