Die Corona-Infek­ti­ons­zah­len galop­pie­ren, die Spiel­räu­me der Politik zur Eindäm­mung der Pande­mie werden kleiner. Es bleiben eindring­li­che Appel­le und die Hoffnung auf einen Impfstoff.

Das Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um bestä­tig­te am Freitag seine Einschät­zung, dass erste Corona-Impfun­gen voraus­sicht­lich in den ersten Monaten des nächs­ten Jahres möglich werden. Unter­des­sen mehren sich Hinwei­se, dass Gesund­heits­äm­ter in einigen Städten mit der Verfol­gung von Infek­ti­ons­ket­ten nicht mehr hinter­her­kom­men. Für Donners­tag kommen­der Woche kündig­te Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) eine Regie­rungs­er­klä­rung im Bundes­tag an.

Die Ämter melde­ten nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) zum zweiten Mal mehr als 11.000 Corona-Neuin­fek­tio­nen binnen eines Tages. Die vom RKI am Freitag­mor­gen veröf­fent­lich­te Zahl von mindes­tens 11.242 Neuin­fek­tio­nen lag nur gering­fü­gig unter der bishe­ri­gen Höchst­mar­ke vom Vortag (11.287 Fälle). Aller­dings kann die aktuel­le Gesamt­zahl noch höher liegen, da es wegen einer techni­schen Störung am RKI am Donners­tag zeitwei­se zu Daten­lü­cken bei der Übermitt­lung von Infek­ti­ons­zah­len aus den Bundes­län­dern kam.

Ein Sprecher des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums sagte, man gehe weiter­hin davon aus, dass Anfang 2021 ein Impfstoff zur Verfü­gung stehen könnte. Der «Spiegel» zitiert Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) in seiner neuen Ausga­be mit den Worten, es könne Januar sein, vielleicht auch Febru­ar oder März — oder sogar noch später.

«Bild» hatte zuvor unter Berufung auf Teilneh­mer einer Video­kon­fe­renz der Gesund­heits­mi­nis­ter der Länder mit Spahn Anfang der Woche berich­tet, dass Impfun­gen früher möglich sein könnten. Spahn habe erklärt, die Firma Biontech (Mainz) stehe dicht vor der Zulas­sung eines Impfstoffs. Auf Fragen, wann er mit ersten Impfun­gen rechne, habe er gesagt: «Das könnte noch vor Ende des Jahres passieren.»

Der Vorstands­chef des Tübin­ger Biophar­ma­un­ter­neh­mens Curevac, Franz-Werner Haas, rechnet weiter­hin damit, dass ein Impfstoff seiner Firma im ersten Halbjahr 2021 auf den Markt kommt. Das Unter­neh­men Curevac hatte nach der Mainzer Firma Biontec als zweites deutsches Unter­neh­men die Geneh­mi­gung für eine klini­sche Studie bekommen.

Der Vorsit­zen­de des Weltärz­te­bun­des, Frank Ulrich Montgo­me­ry, warnte für den Fall eines weite­ren Anstiegs, bei 20.000 Neuin­fek­tio­nen am Tag gerate die Lage außer Kontrol­le. «Dann wäre es für Gesund­heits­äm­ter nicht mehr möglich, die Infek­ti­ons­ket­ten nachzu­ver­fol­gen und zu unter­bre­chen», sagte er der «Rheini­schen Post». Regie­rungs­spre­cher Steffen Seibert sagte, Gesund­heits­äm­ter in mehre­ren deutschen Städten seien überlas­tet, könnten also nicht in jedem Fall Kontak­te der Betrof­fe­nen nachvollziehen.

«Jedem Fall genau nachzu­ge­hen, das gelingt nicht mehr», sagte der Leiter des Frank­fur­ter Gesund­heits­amts, René Gottschalk, im ZDF-«Morgenmagazin». «Wir schaf­fen es nicht mehr, alle Kontakt­per­so­nen positiv Getes­te­ter binnen 24 Stunden zu errei­chen», beschrieb der Gesund­heits­stadt­rat des stark betrof­fe­nen Berli­ner Bezirks Neukölln, Falko Liecke, bei n‑tv die Situation.

Die Verbands­che­fin der Ärzte im öffent­li­chen Gesund­heits­dienst, Ute Teichert, sagte im Deutsch­land­funk, die Lage sei schwie­rig, von einem Kollaps würde sie aber nicht reden. «So schnell, wie die Zahlen im Moment anstei­gen, so schnell kann man gar nicht mit dem Perso­nal nachle­gen. Da liegt in der Tat ein Problem», sagte Teichert. Die Bundes­wehr ist derzeit mit knapp 2000 Angehö­ri­gen im Corona-Einsatz, 1561 davon helfen den Gesund­heits­äm­tern, wie ein Sprecher des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums der «Rheini­schen Post» sagte.

SPD-Gesund­heits­exper­te Karl Lauter­bach forder­te, nicht mehr alle Kontak­te jedes Einzel­falls nachzu­ver­fol­gen, sondern sich auf Cluster zu konzen­trie­ren — also Gruppen­kon­tak­te etwa im Schul­un­ter­richt oder bei Chorpro­ben. «Das Robert Koch-Insti­tut muss jetzt endlich den Schal­ter umlegen», sagte er der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung».

Auch die Zahl der Corona-Patien­ten auf Inten­siv­sta­tio­nen in Kranken­häu­sern steigt. Nach Zahlen der Deutschen Inter­dis­zi­pli­nä­ren Verei­ni­gung für Inten­siv- und Notfall­me­di­zin (DIVI) werden derzeit 1121 Patien­ten mit Covid-19 inten­siv­me­di­zi­nisch behan­delt. Vor einer Woche waren es noch 690, vor zwei Wochen 510 und vor einem Monat 293. 478 Corona-Patien­ten werden derzeit beatmet.

Demnach sind aktuell 21.736 Inten­siv­bet­ten belegt, 7784 sind frei. Das sind 873 freie Betten weniger als noch vor einer Woche. Darüber hinaus steht eine «Notfall­re­ser­ve» von 12.717 Inten­siv­bet­ten bereit, die inner­halb von sieben Tagen verfüg­bar wären. Laut DIVI-Präsi­dent Uwe Janssen ist eine Überlas­tung derzeit nicht zu erwarten.

Mehre­re Minis­ter­prä­si­den­ten mahnten die Menschen eindring­lich zur Einhal­tung der Corona-Hygie­ne­re­geln. «Es muss uns gelin­gen, diese Welle zu brechen. (…) Und wenn wir jetzt ein bisschen mehr tun, dann werden wir hinter­her weniger Folgen haben», sagte Bayerns Regie­rungs­chef Markus Söder (CSU) in der Sendung «ZDF spezial».

Hamburgs Bürger­meis­ter Peter Tschent­scher (SPD) mahnte, alle müssten jetzt den Ernst der Lage verste­hen. «Wir brauchen jetzt Diszi­plin», sagte er in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Berlins Regie­ren­der Bürger­meis­ter Micha­el Müller (SPD) machte im ZDF-«Heute Journal» klar, es gebe «nicht mehr viele Entschei­dungs­mög­lich­kei­ten». Saarlands Regie­rungs­chef Tobias Hans (CDU) sagte im ZDF, nachdem das Leben im Sommer «wie ganz normal» verlau­fen sei, müssten die Menschen die Lage nun wieder ernster nehmen — wie im März und April.

30 Prozent der Bürger befür­wor­ten nach dem neuen ZDF-Polit­ba­ro­me­ter noch härte­re Corona-Beschrän­kun­gen. 54 Prozent halten die Maßnah­men demnach für genau richtig, 14 Prozent für übertrie­ben. Vor allem die Masken­pflicht und Begren­zun­gen von Teilneh­mer­zah­len bei priva­ten Feiern und Treffen finden eine breite Zustim­mung, frühe­re Schlie­ßung von Bars und Restau­rants befür­wor­tet nur noch eine knappe Mehrheit.

Den Nutzen von Alltags­mas­ken hatte zuletzt der Präsi­dent der Bundes­ärz­te­kam­mer, Klaus Reinhardt, in Zweifel gezogen, ruder­te nun aber zurück: «Die aktuel­le Evidenz aus vielfäl­ti­gen Studi­en spricht für einen Nutzen des Mund-Nasen-Schut­zes», teilte er mit.