ROT AN DER ROT — Wo vor Corona zahlrei­che junge und jung geblie­be­ne Menschen im Jugend­haus St. Norbert Kurse besucht oder ihre Freizeit verbracht haben, rücken demnächst die Handwer­ker an. Mit der Sanie­rung der Innen­hof­fas­sa­de soll auch ein neuer barrie­re­frei­er Perso­nen­auf­zug angebaut werden, dessen Funda­ment bis zu vier Meter in die Tiefe reicht. Da der gesam­te Kloster­be­zirk ein archäo­lo­gi­sches Kultur­denk­mal darstellt, beauf­trag­te die Diöze­se Rotten­burg-Stutt­gart als Bauherr eine Unter­su­chung des Baugrunds.

Optisch präsen­tiert sich die Kloster­an­la­ge heute in barocker Pracht. Doch der Prämons­tra­ten­ser­or­den ließ sich bereits 1126 an diesem Ort nieder. Brände, Plünde­run­gen, Seuchen und ehrgei­zi­ge Pläne einiger Äbte sorgten in den folgen­den Jahrhun­der­ten für zahlrei­che Neubau- und Umbau­pha­sen. Diese seien teilwei­se noch im erhal­te­nen Baube­stand des Klosters zu entde­cken, erläu­tert Anja Seidel vom beauf­trag­ten Archäo­lo­gie-Zentrum Günzburg. Sie ist dankbar, dass ihr die Diöze­se Karin Uetz als Exper­tin für Histo­ri­sche Baufor­schung an die Seite stell­te. Im Austausch mit ihr konnte Seidel ihre Funde datie­ren und einordnen.

Da der Aufzug im Kreuz­gar­ten errich­tet werden soll, war für Mathi­as Hensch vom zustän­di­gen Landes­amt für Denkmal­pfle­ge (LAD) im Regie­rungs­prä­si­di­um Stutt­gart, das die Maßnah­me beglei­tet, die spannen­de Frage: Haben sich an dieser Stelle Reste des mittel­al­ter­li­chen Kreuz­gangs im Boden erhal­ten? Bei den Ausgra­bun­gen fanden sich tatsäch­lich Funda­ment- und Mauer­res­te sowie archäo­lo­gi­sche Schich­ten, die wichti­ge Erkennt­nis­se über die Bauge­schich­te des Klosters im 15. Jahrhun­dert verraten. 

Der bei den Grabun­gen erfass­te Südflü­gel des spätmit­tel­al­ter­li­chen Kreuz­gangs war mit großer Wahrschein­lich­keit einge­schos­sig. In seiner Südwest­ecke befand sich ein Treppen­ab­gang in einen noch heute erhal­te­nen, wohl älteren Keller­raum. Zudem erbrach­ten die Unter­su­chun­gen Hinwei­se auf Bewäs­se­rungs­an­la­gen, die nach einem verhee­ren­den Brand im Jahr 1681 wahrschein­lich für die zahlrei­chen Hochbee­te des Kreuz­gar­tens zum Anbau von Heil- und Nutzpflan­zen angelegt wurden.

Erstaun­lich ist, dass bei den Ausgra­bun­gen ledig­lich eine Bestat­tung im ehema­li­gen Kreuz­gang angetrof­fen wurde, obwohl das damals üblich war. “Der unter­halb des Keller­ab­gangs beigesetz­te Mann mittle­ren Alters litt zu Lebzei­ten an mehre­ren schwe­ren Krank­hei­ten und wurde ohne Sarg nur in ein Leichen­tuch gehüllt”, berich­tet Anja Seidel von ihren Erkennt­nis­sen. Ursprüng­lich dürften sich im Kreuz­gang aber zahlrei­che weite­re Gräber befun­den haben. Diese seien der schrift­li­chen Überlie­fe­rung zufol­ge um 1630 aufge­löst und danach in einer Sammel­grab­le­ge wieder­be­stat­tet worden, fand Karin Uetz heraus.

Bis der Abschluss­be­richt der Maßnah­me vorliegt, werden noch einige Wochen ins Land ziehen. Ein wichti­ger Aspekt der Auswer­tung im Archäo­lo­gie-Zentrum wird es sein, weite­re neu entdeck­te Befun­de mit den bauge­schicht­li­chen Auffäl­lig­kei­ten im heute erhal­te­nen Bestand des Klosters zusam­men­zu­füh­ren und zu deuten. Mathi­as Hensch verweist in diesem Zusam­men­hang auf den hohen Stellen­wert, den archäo­lo­gi­sche Grabun­gen im Zuge von Baumaß­nah­men für den Blick heuti­ger Menschen auf die Geschich­te eines Ortes haben.

Ohne die Arbeit der Archäo­lo­gen würden solche wichti­gen Geschichts­quel­len undoku­men­tiert zerstört, ohne dass sich aus ihnen Erkennt­nis­se über das Werden und Wachsen einer Kultur­land­schaft ablei­ten ließen. “Archäo­lo­gi­sche Quellen sind jedoch endli­che Ressour­cen, wir müssen schonend mit ihnen umgehen”, betont Mathi­as Hensch. Hoffent­lich können bald wieder zahlrei­che Besuche­rin­nen und Besucher das Jugend­haus St. Norbert bevöl­kern. Ob sie wohl diese tiefen geschicht­li­chen Dimen­sio­nen erahnen, wenn sie der neue Aufzug nach unten bringt?