BERLIN (dpa) — Reden über Russland, aber nicht mit Russland — so könnte das inoffi­zi­el­le Motto lauten. Moskau schickt keine offizi­el­le Delega­ti­on. Der Westen befasst sich allei­ne mit der Ukraine-Krise.

Vor dem Hinter­grund der massi­ven Spannun­gen in der Ukrai­ne-Krise beginnt heute die Münch­ner Sicherheitskonferenz.

Zu den promi­nen­tes­ten Rednern in den nächs­ten drei Tagen werden Bundes­kanz­ler Olaf Scholz, US-Vizeprä­si­den­tin Kamala Harris und der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj zählen. Russland ist dagegen zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren nicht mit einer offizi­el­len Delega­ti­on dabei.

So brenz­lig wie diesmal war die Sicher­heits­la­ge in Europa vor dem weltweit wichtigs­ten Exper­ten­tref­fen zur Sicher­heits­po­li­tik schon lange nicht mehr. Die Entspan­nungs­si­gna­le, die Kanzler Scholz am Diens­tag noch bei seinem Antritts­be­such in Moskau vernom­men hat, schei­nen längst wieder verflo­gen zu sein. Die Sorge vor einem russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne wächst wieder.

Biden warnt vor Invasi­on «in den nächs­ten paar Tagen»

Russland sagt zwar, es ziehe einen Teil seiner Truppen von der ukrai­ni­schen Grenze ab. Gleich­zei­tig warnt US-Präsi­dent Joe Biden aber vor einer Invasi­on «in den nächs­ten paar Tagen». Und US-Außen­mi­nis­ter Antony Blinken erläu­tert vor dem UN-Sicher­heits­rat, wie ein Angriffs­vor­wand konstru­iert werden könnte. «Dies könnte ein gewalt­sa­mes Ereig­nis sein, das Russland gegen die Ukrai­ne vorbrin­gen wird, oder eine unerhör­te Anschul­di­gung, die Russland gegen die ukrai­ni­sche Regie­rung erheben wird», sagt er.

Blinken wird am Freitag in München erwar­tet und im Tagungs­ho­tel Bayeri­scher Hof mit Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock auf der Bühne sitzen, um über die Ukrai­ne-Krise zu reden. Am Samstag haben dann Scholz, Selen­skyj und Harris das Wort. Außer­dem stimmen sich dann die Außen­mi­nis­ter der führen­den demokra­ti­schen Wirtschafts­mäch­te über das weite­re Vorge­hen ab.

Deutsch­land hat den Vorsitz in dieser Gruppe der Sieben (G7), der außer­dem die USA, Großbri­tan­ni­en, Frank­reich, Itali­en, Kanada und Japan angehö­ren. Der Westen ist bei dem Thema Ukrai­ne in München weitge­hend unter sich. Auch Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg und die Spitzen der EU werden in der bayeri­schen Haupt­stadt erwartet.

Biden berät mit Verbün­de­ten am Telefon

Während Blinken in München erwar­tet wird, will US-Präsi­dent Joe Biden mit Verbün­de­ten über das weite­re Vorge­hen beraten. Themen der Telefon­schal­te heute sollten unter anderem die Aufsto­ckung der russi­schen Truppen an der Grenze zur Ukrai­ne und weite­re diplo­ma­ti­sche Bemühun­gen sein, hieß es aus dem Weißen Haus.

Neben Kanadas Premier­mi­nis­ter Justin Trudeau sollen führen­de Politi­ker aus Deutsch­land, Frank­reich, Großbri­tan­ni­en, Itali­en, Polen und Rumäni­en an dem Gespräch teilneh­men, teilte Trudeaus Büro mit. Auch die Europäi­sche Union und die Nato seien vertreten.

Stamm­gast Lawrow nicht bei Sicherheitskonferenz

Russland ist dagegen außen vor. «Wir müssen mit Bedau­ern feststel­len, dass sich die Konfe­renz in den vergan­ge­nen Jahren immer mehr zu einem trans­at­lan­ti­schen Forum gewan­delt hat», begrün­de­te die Spreche­rin des russi­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums, Maria Sacha­rowa, die Absage. Das Exper­ten­tref­fen habe seine Objek­ti­vi­tät und die Einbin­dung anderer Sicht­wei­sen verloren.

In den letzten Jahren hatte Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow zu den treues­ten Gästen von Konfe­renz­lei­ter Wolfgang Ischin­ger gehört. Zwar betont auch Lawrow immer noch täglich die Bereit­schaft, mit den USA, der Nato und der Organi­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa (OSZE) über ein neues Neben­ein­an­der auf dem Konti­nent zu sprechen. Aller­dings erfolgt dies nun vor allem schriftlich.

Russland erinnert mit Blick auf die Konfe­renz aktuell auch an den 15. Jahres­tag der «Schock­re­de» von Kreml­chef Wladi­mir Putin 2007 in München. Der russi­sche Präsi­dent beklag­te schon damals – lange vor dem Ukrai­ne-Konflikt – vor Nato- und US-Vertre­tern eine unkon­trol­lier­te Ausdeh­nung des westli­chen Bündnis­ses bis an die Grenzen Russlands. Und er warf den USA vor, ein Macht­zen­trum zu bilden, das ohne Kontrol­le agiere.

Die Nato-Ausdeh­nung habe nicht zu mehr Sicher­heit in der Welt geführt, sondern zu mehr Toten, sagte Putin im Febru­ar 2007. «Bei jedem belie­bi­gen Vorfall wird bombar­diert und geschos­sen.» Diese Politik sei zum Schei­tern verur­teilt. Russlands Staats­me­di­en setzen dazu auch die Bilder des Rückzugs der USA aus Afgha­ni­stan im vorigen Jahr – und kommen­tie­ren, Putin habe das vorhergesagt.

Rund 30 Staats- und Regie­rungs­chefs in München

Neben der Ukrai­ne-Krise wird es in München auch um andere Themen gehen. Aber selbst die ganz großen Fragen dieser Zeit wie Klima­wan­del, Digita­li­sie­rung und der System­wett­be­werb zwischen Demokra­tie und Autokra­tie werden wohl angesichts der akuten Gefähr­dung des Friedens in Europa in den Hinter­grund rücken.

Eröff­net wird die Konfe­renz von UN-General­se­kre­tär António Guter­res (13.30 Uhr). An dem weltweit wichtigs­ten Exper­ten­tref­fen zur Sicher­heits­po­li­tik nehmen insge­samt 30 Staats- und Regie­rungs­chefs teil, außer­dem mehr als 80 Minis­ter. Für US-Vizeprä­si­dent Harris ist es der erste Auftritt vor einem europäi­schen Publi­kum. Sie war bisher nur in Latein­ame­ri­ka unterwegs.

Schau­lau­fen der neuen Bundesregierung

Die Konfe­renz wird auch ein Schau­lau­fen der neuen Bundes­re­gie­rung werden, die dort erstmals ihre Idee von Außen­po­li­tik umfas­send präsen­tiert. Scholz hält am Sonntag eine Grund­satz­re­de dazu. Außer­dem sind neben Baerbock und Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht auch Entwick­lungs­mi­nis­te­rin Svenja Schul­ze und Agrar­mi­nis­ter Cem Özdemir vor Ort.

Baerbock beklag­te, dass Russland nicht an der Konfe­renz teilnimmt. «Gerade in der aktuel­len, extrem bedroh­li­chen Lage, wäre es so wichtig gewesen, auch russi­sche Vertre­ter in München zu treffen. Es ist ein Verlust, dass Russland diese Möglich­keit nicht nutzt», sagte sie vor ihrer Abrei­se. Sie bot Russland erneut Gesprä­che über eine Deeska­la­ti­on der Lage an. «Auch Milli­me­ter­schrit­te Richtung Frieden sind besser als große Schrit­te Richtung Krieg», sagte sie.

Schul­ze: Zusam­men­ar­beit mit Ukrai­ne ausbauen

Schul­ze (SPD) plädier­te dafür, die Zusam­men­ar­beit mit der Ukrai­ne noch auszu­bau­en. Eine selbst­be­wuss­te und krisen­fes­te­re Gesell­schaft stärke die Ukrai­ne langfris­tig am besten, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur vor der Sicher­heits­kon­fe­renz. «Deutsch­land ist einer der wichtigs­ten, wenn nicht der wichtigs­te Partner der Ukrai­ne, wenn es um die langfris­ti­ge Stärkung von Staat, Wirtschaft und Gesell­schaft geht.» Seit 2014 hat die Bundes­re­gie­rung die Ukrai­ne mit über 1,8 Milli­ar­den Euro an ziviler Unter­stüt­zung gestärkt.

Stren­ge Corona-Auflagen

Die Konfe­renz tagt unter stren­gen Corona-Aufla­gen. Statt der sonst mehr als 2000 Teilneh­mer sind diesmal nur 600 zugelas­sen. Sie alle müssen geimpft sein und täglich einen PCR-Test machen.

Von Micha­el Fischer, Carsten Hoffmann und Ulf Mauder, dpa