Server stürzen ab, weil nach der Corona-Zwangs­pau­se so viele Menschen ins Museum wollen. Das deutet auf eine neue Sehnsucht nach Kultur hin. Exper­ten sehen die Sache aller­dings weniger rosig.

KÖLN/BASEL (dpa) — Hungert das Volk nach Kultur? Die Frage kann man sich stellen, nachdem in der vergan­ge­nen Woche die Server von zwei Museen wegen starker Nachfra­ge nach Ausstel­lungs­ti­ckets abgestürzt sind.

In Köln war es die Andy-Warhol-Ausstel­lung, die den Ansturm auslös­te, in Karls­ru­he provo­zier­te die Retro­spek­ti­ve eines in Deutsch­land weitge­hend unbekann­ten franzö­si­schen Hofma­lers den massi­ven Zugriff der Kunstinteressierten.

Dennoch lässt sich daraus nicht ohne weite­res ablei­ten, dass jetzt überall der große Ansturm auf die Museen einsetzt. «Auf der einen Seite treffe ich viele Leute, die sagen, dass sie sich danach sehnen, dass der kultu­rel­le Betrieb wieder losgeht», sagt Stephan Berg, Direk­tor des Kunst­mu­se­ums Bonn.

Das Bedürf­nis nach Kultur sei auf jeden Fall da. Aber ob es sich auch gleich in einem Run auf die Museen nieder­schla­ge, sei eine andere Frage. «Wir stellen uns eher auf einen etwas zöger­li­chen Beginn ein und hoffen dann, dass es in den nächs­ten Monaten Fahrt aufnimmt. Das wäre in etwa analog zum ersten Lockdown.»

Der in der Schweiz leben­de Kunst­his­to­ri­ker und Bestsel­ler­au­tor Chris­ti­an Saehrendt («Das kann ich auch!») sieht es ähnlich. «Die Meldun­gen von Server-Zusam­men­brü­chen sind natür­lich auch Eigen-PR der betref­fen­den Insti­tu­tio­nen», vermu­tet er. «Wenn ein Dutzend Leute gleich­zei­tig versu­chen, ein Zeitfens­ter-Ticket zu buchen, dann kann das schon mal zu Proble­men führen, und das kann man dann den Medien verkau­fen als Ansturm auf den Server.»

Saehrendt befürch­tet, dass die Corona-Pande­mie eine mittel­fris­ti­ge Verhal­tens­än­de­rung beim Kultur­kon­sum hervor­ru­fen wird. «Zum Beispiel habe ich die Befürch­tung, dass das Kunst­pu­bli­kum, das ja zum größten Teil aus sogenann­ten Risiko­grup­pen besteht, nicht im vollen Umfang in die Museen und Kultur­ein­rich­tun­gen zurück­kehrt, weil eine Restangst vor Anste­ckung bleibt.»

Aber auch das junge Publi­kum könnte betrof­fen sein, weil es seine Freizeit am liebs­ten spontan gestal­tet und sich deshalb mit der Buchung von Zeitfens­tern schwer tut. «Da sind die Kultur­ein­rich­tun­gen also quasi doppelt bedroht.»

Schon vor der Pande­mie hatten die Museen Proble­me. Saehrendt bringt es so auf den Punkt: «Das Publi­kum galt als zu alt, zu gebil­det und zu biodeutsch.» Um das zu ändern, haben sich die Museen manches einfal­len lassen. Sie setzten zum Beispiel auf Veran­stal­tun­gen mit Event­cha­rak­ter wie die «lange Nacht der Museen». Prosec­co, Schnitt­chen, Party­stim­mung — und die Kunst als «Kompe­tenz-Tapete» im Selfie-Hinter­grund, wie Saehrendt es ausdrückt.

Die sozia­le Kompo­nen­te wurde sehr wichtig. Aber das fällt in der Pande­mie weg und könnte auch danach nicht mehr richtig zurück­kom­men. «Ich weiß nicht, ob Sie sich auf der Art Basel noch mal mit 30.000 Perso­nen zeitgleich in den Messe­hal­len aufhal­ten werden», gibt Saehrendt zu beden­ken. So könnte sich der Spaßfak­tor des ganzen Kunst­be­triebs deutlich reduzieren.

In der Pande­mie setzten die Museen verstärkt auf den Online-Bereich. Zumin­dest für die 20- bis 40-Jähri­gen hätten Unter­su­chun­gen auch tatsäch­lich gezeigt, dass sie die Viewing Rooms der Museen besuch­ten, sagt Saehrendt. Aller­dings sieht er auch hier ein Risiko: «Wenn der Museums­rund­gang vom Sofa aus immer besser wird, dann werden sich die Digital Natives irgend­wann fragen: ‘Ich hab hier doch alles in super Quali­tät, warum soll ich jetzt noch in die Innen­stadt fahren und mir da im Museum die Hacken ablau­fen?’» Insofern ist die Digita­li­sie­rung einer­seits eine Chance für die Kunst, das Publi­kum zu vergrö­ßern, könnte aber auch den gegen­tei­li­gen Effekt haben, dass das Vorort-Publi­kum stark verklei­nert wird.

Natür­lich ist da immer noch die Aura des Origi­nals. So sagte der Direk­tor der Tate Britain, Nicho­las Serota, nachdem er sich einmal Gerhard Richters Gemäl­de «Ema (Akt auf einer Treppe)» im Kölner Museum Ludwig angese­hen hatte: «Im Origi­nal wirkt das Bild natür­lich ganz anders als auf einer Abbil­dung.» Viele werden bestä­ti­gen, dass es allein aufgrund seiner Größe eine viel direk­te­re Wirkung hat, als dies auf einem Compu­ter­schirm je der Fall sein kann.

Das gilt erst recht für Skulp­tu­ren und Raumin­stal­la­tio­nen, die man durch­wan­dern muss, um sie wahrneh­men zu können. Es stellt sich aller­dings die Frage, ob hier nicht mittler­wei­le eine Entwöh­nung einge­setzt hat. «Man könnte sogar sagen, wenn es so weiter­geht mit der Pande­mie­si­tua­ti­on und der Kunst­be­trieb immer digita­ler wird, wird es natür­lich einen Trend geben hin zu Kunst­wer­ken, die man digital auch gut abbil­den kann», glaubt Saehrendt. «Das wird das Leben für Bildhau­er natür­lich schwer machen.»

Wie es wirklich kommt, müssen die nächs­ten Monate zeigen. Dass aber alles einfach wieder so wird wie vor der Pande­mie, kann man sich nicht richtig vorstellen.