TELTOW (dpa) — Noch immer erholen sich noch viele Menschen von den Langzeit­fol­gen ihrer Corona-Infek­ti­on — und die Corona-Herbst­wel­le baut sich immer mehr auf. Auch bei Post Covid könnten die Zahlen erneut steigen.

Beim Duschen hat sie Schmer­zen, Kleidung auf der Haut ist kaum zu ertra­gen. «Auf dem Kopf war es, als wenn Nadel­sti­che mich treffen», so schil­dert es die Post-Covid-Patien­tin. Bei Silva­na Heller-Scheu­ne­mann hatte eine Corona-Infek­ti­on hefti­ge Spätfol­gen — so wie für viele andere Menschen in Deutsch­land auch. Wenn die Corona-Zahlen mit der wachsen­den Herbst­wel­le nun wieder steigen, könnte auch Post Covid weiter zunehmen.

Typisch für Post Covid sind kogni­ti­ve Einschrän­kun­gen. Heller-Scheu­ne­mann, die derzeit eine Thera­pie im Reha-Zentrum Seehof im branden­bur­gi­schen Teltow macht, bemerk­te nach ihrer Erkran­kung im Febru­ar 2022 plötz­lich Gedächt­nis­lü­cken. «Ich konnte mich nicht mehr an Wege erinnern», schil­dert die 50-Jähri­ge. «Ich konnte nicht richtig schrei­ben, teilwei­se kamen Buchsta­ben in Spiegel­schrift aufs Papier. Das war dann schon sehr beängs­ti­gend, auch weil natür­lich der erste Gedan­ke kam: «Kann ich meinen Job so machen?»»

Bis zu 15 Prozent betroffen

Die Bundes­ärz­te­kam­mer veröf­fent­lich­te am Diens­tag eine Stellung­nah­me zum Post-Covid-Syndrom. Demnach leiden bis zu 15 Prozent der Corona-Infizier­ten später auch an Post-Covid-Sympto­men. Bei Heller-Scheu­ne­mann wurde die Krank­heit zu einem hefti­gen Einschnitt in ihr norma­les Leben. Eigent­lich arbei­tet sie als Sachge­biets­lei­te­rin, doch durch die Erkran­kung wurde sie mehre­re Monate arbeits­un­fä­hig. «Ich wusste, ich kann ja so nicht in die Arbeit. Sie können nicht als leistungs­fä­hi­ge Führungs­kraft arbei­ten, wenn Sie all diese Kompe­ten­zen nicht haben.»

Auffäl­lig: Immer wieder kommen Post-Covid-Patien­ten mit Abitur oder Hochschul­ab­schluss in die Teltower Klinik — in anderen Patien­ten­grup­pen ist das vergleichs­wei­se weniger häufig der Fall. Auch für den ärztli­chen Direk­tor des Reha-Zentrums ist das überra­schend. Volker Köllner verbin­det seine Arbeit als Arzt mit der Erfor­schung der Krank­heit. Köllner sagt: «Dass es tatsäch­lich so einen Riesen­un­ter­schied beim Bildungs­stand zwischen Patien­ten­grup­pen gibt, wie in der Studie zu Post Covid, habe ich jetzt seit 30 Jahren Forschung noch nicht erlebt.»

Köllner berich­tet, dass gerade Menschen mit geistig anspruchs­vol­len Jobs stark unter Konzen­tra­ti­ons­stö­run­gen leiden würden. «Eine Lehre­rin kommt beispiels­wei­se und erzählt uns, dass sie immer bestimm­te Vokabeln vergisst und an der Tafel steht und ihr fällt das Wort nicht ein», sagt der Arzt. In der kogni­ti­ven Testung seien dann tatsäch­lich entspre­chen­de Einschrän­kun­gen nachge­wie­sen worden — oft in einem überra­schend deutli­chen Ausmaß.

Frauen fehlt oft die Erholungszeit

Frauen sind übermä­ßig von Post Covid betrof­fen. «Das kann einer­seits hormo­nel­le und immuno­lo­gi­sche Gründe haben», sagt Köllner. Der andere Punkt sei, dass Frauen häufi­ger in der Doppel­be­las­tung seien mit Familie und sich eine Auszeit, die eigent­lich nach der Infek­ti­on gut täte, weniger leicht nehmen könnten als die Männer.

Wie kommen Frauen damit zurecht? Post-Covid-Patien­tin Silke Wichmann hat für sich Strate­gien entwi­ckelt, mit den Defizi­ten umzuge­hen. «Ich habe Pausen gemacht und halt auch mal beim Einkau­fen oder Wäsche-Aufhän­gen gesagt, ich bekom­me das heute nicht mehr hin, und dann muss es halt wer anders machen», schil­dert die 52-Jähri­ge. Sie hat nach ihrer Corona-Erkran­kung im April 2021 verschie­de­ne Sympto­me wie Kurzat­mig­keit und Konzen­tra­ti­ons­stö­run­gen bemerkt.

Inzwi­schen kommt Wichmann ordent­lich mit ihrer Krank­heit zurecht — dank der Hilfe in der Klinik. Hier fühle sie sich ernst genom­men, und durch viel Bewegung komme sie wieder stärker auf die Beine. «Also mir geht es schon gut. Ich weiß aber ganz genau, dass diese Menge an Bewegung im Alltag nicht machbar ist», sagt Wichmann.

Ärzte und Thera­peu­ten haben seit Ausbruch der Pande­mie vor über zwei Jahren viel dazuge­lernt. Gerade etwa beim Thema Bewegung gab es lange Unsicher­heit. Schadet es den Patien­ten am Ende? Für Doktor Köllner ist die Bewegungs­the­ra­pie inzwi­schen ein Schlüs­sel­ele­ment bei der Behand­lung. «Die riesi­ge Mehrheit der Post-Covid-Patien­ten profi­tiert von einem wohldo­sier­ten Ausdau­er­trai­ning und von Bewegungs­the­ra­pie», sagt der Arzt.

Maßge­bend für die richti­ge Behand­lung von Post-Covid-Patien­ten ist die Deutsche Gesell­schaft für Pneumo­lo­gie und Beatmungs­me­di­zin. Diese hat eine Empfeh­lung heraus­ge­ge­ben, in der sie dringend zu Bewegungs­the­ra­pie raten.

In der Klinik in Teltow steht täglich Sport auf dem Programm. In der kleinen Turnhal­le sitzt Silva­na Heller-Scheu­ne­mann auf einem Hocker. Im Kreis mit ihr andere Patien­tin­nen. Gemein­sam machen sie die Übungen der Traine­rin nach. Den Arm über den Kopf, dann in die Kniebeuge.

Wenn sich Doktor Köllner etwas für die Post-Covid-Betrof­fe­nen wünschen dürfte, wären es einfach einge­rich­te­te und zu errei­chen­de Bewegungs­an­ge­bo­te. «Damit würden wir Menschen errei­chen, die bei ihrem Hausarzt sind und die sagen: «Ich merke, das ist immer noch so anstren­gend und ich mache mir Gedan­ken und ich kriege schlech­ter Luft»», sagt Köllner.

Treppen­stei­gen in der Reha

Die Deutsche Renten­ver­si­che­rung Bund spricht sich ebenfalls für vielschich­ti­ge Behand­lun­gen aus. Ihre Direk­to­rin für Rehabi­li­ta­ti­on, Brigit­te Gross, unter­streicht die Bedeu­tung: «Wenn zum Beispiel das Herz nach einer Corona-Erkran­kung nur noch eine einge­schränk­te Pumpfunk­ti­on hat, setzt die Rehabi­li­ta­ti­on mit einem dosier­ten Ausdau­er­trai­ning an, um etwa das Treppen­stei­gen wieder zu ermög­li­chen.» Unter dem Dach der Renten­ver­si­che­rung wurden im Jahr 2021 rund 10.000 Rehabi­li­ta­tio­nen für die Folgen nach Corona durch­ge­führt. Durch­schnitt­lich bleiben die Patien­tin­nen und Patien­ten dabei 26 Tage in der Reha.

Aus der Wissen­schaft und der Ärzte­schaft wurde zuletzt immer wieder mehr Augen­merk auf die späten Folgen einer Corona-Erkran­kung verlangt. Viele halten das Thema für unter­schätzt. Nach der Zunah­me bei Corona-Infek­tio­nen im Herbst und Winter könnten auch die Post-Covid-Zahlen wieder steigen. Die Bundes­ärz­te­kam­mer erwar­tet, dass sich mit der Dynamik der Pande­mie auch die Erkennt­nis­se zu Post Covid verän­dern und teils auch immer wieder überholen.

Positiv sind nach Ansicht des Arztes Köllner die wachsen­den Erfah­run­gen in der Bevöl­ke­rung mit Corona insge­samt. Die Menschen seien «deutlich immun­kom­pe­ten­ter», sagt Köllner. «Jetzt hatten wir zweiein­halb Jahre Zeit, uns mit dem Virus ausein­an­der­zu­set­zen.» Gerade aus Sicht des Exper­ten für Post Covid gilt aber: Man dürfe Corona nicht auf die leich­te Schul­ter nehmen und müsse sehr wachsam bleiben. Köllner: «Ich halte es nicht für wahrschein­lich, aber es kann sein, dass es eben auch mal eine aggres­si­ve­re, also im Sinne von gefähr­li­che­re, tödli­che­re Varian­te gibt.»

Von Stella Venohr, dpa