BERLIN (dpa) — Exper­ten und Exper­tin­nen hatten es vorher­ge­sagt: Deutsch­land erlebt gerade im Unter­schied zu 2021 keinen weitge­hend coronafrei­en Sommer. Wie das RKI die Lage momen­tan einschätzt — und was der Virolo­ge Drosten sagt.

Mehr erfass­te Fälle, mehr Ausbrü­che in Pflege­hei­men und auch wieder steigen­de Patien­ten­zah­len auf Inten­siv­sta­tio­nen: Besser übertrag­ba­re Omikron-Subli­ni­en treiben die Corona-Sommer­wel­le in Deutsch­land an.

Wie erwar­tet worden war, ist der Erreger BA.5 nun auch nach offizi­el­len Daten vorherr­schend in Deutsch­land. Der Anteil in einer Stich­pro­be liege bei 50 Prozent, geht aus dem Wochen­be­richt des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) zu Covid-19 hervor. Die Angabe bezieht sich aller­dings auf vorver­gan­ge­ne Woche, derzeit ist bereits von höheren Werten auszugehen.

Drosten sagt viele Krank­mel­dun­gen voraus

Der Virolo­ge Chris­ti­an Drosten rechnet nach den Sommer­fe­ri­en in Deutsch­land mit einer sehr hohen Zahl an neuen Corona-Fällen. «Ich hoffe, dass die Schul­fe­ri­en den Anstieg der Erkran­kungs­fäl­le etwas dämpfen werden. Aber ab Septem­ber, fürch­te ich, werden wir sehr hohe Fallzah­len haben», sagte der Leiter der Virolo­gie-Abtei­lung an der Berli­ner Chari­té dem «Spiegel». Wenn nichts getan werde, werde es im Arbeits­le­ben «sehr viele krank­heits­be­ding­te Ausfäl­le» geben.

«Wir sehen tatsäch­lich schon wieder einen exponen­ti­el­len Anstieg der Fallzah­len», warnte Drosten. «Die BA.5‑Variante ist einfach sehr übertrag­bar, und die Menschen verlie­ren gleich­zei­tig ihren Übertra­gungs­schutz aus der letzten Impfung.» In anderen Ländern sehe man, dass bei sehr hohen Fallzah­len auch die Hospi­ta­li­sie­rungs- und Todes­zah­len wieder anstie­gen. «Das wird auch bei uns leider so sein. Insge­samt werden aber viel weniger Menschen schwer erkran­ken und sterben als noch 2021.»

In dem RKI-Wochen­be­richt heißt es, die Belas­tung des Gesund­heits­ver­sor­gungs­sys­tems, insbe­son­de­re im inten­siv­me­di­zi­ni­schen Bereich, sei in der vergan­ge­nen Woche wieder leicht angestiegen.

Laut Divi-Inten­siv­re­gis­ter nimmt die Zahl dort behan­del­ter Corona-Infizier­ter seit einigen Tagen wieder zu: Nach gut 600 Patien­ten zu Monats­be­ginn waren es mit Stand Donners­tag 810. Zum Vergleich: Zu Hochzei­ten der Pande­mie in Winter­mo­na­ten waren es teils mehre­re Tausend zeitgleich.

RKI mahnt zur Vorsicht

Bei der Subli­nie BA.5 war in den Stich­pro­ben zuletzt eine ungefäh­re Verdopp­lung des Anteils im Wochen­takt beobach­tet worden. Das wird nun nicht mehr ganz erreicht, wie der RKi-Bericht zeigt: Der Anteil wuchs im Wochen­ver­gleich von 32 auf rund 50 Prozent. Bei weite­ren Subli­ni­en von Omikron (BA.2.12.1 und BA.4) werden ebenfalls wachsen­de Antei­le beobach­tet, aber auf bisher niedri­ge­rem Niveau von je sechs Prozent.

Das RKI spricht von einer Zunah­me der Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zur Vorwo­che um 23 Prozent. «Die Zahl der Ausbrü­che in Alten- und Pflege­hei­men sowie in medizi­ni­schen Behand­lungs­ein­rich­tun­gen ist im Vergleich zur Vorwo­che weiter gestiegen.»

Angesichts der Entwick­lung ruft das RKI weiter­hin dazu auf, die Empfeh­lun­gen zum Vermei­den von Anste­ckun­gen einzu­hal­ten: Abstand halten, Hygie­ne­re­geln beach­ten, Maske tragen, Lüften und Corona-Warn-App nutzen. Die Impfung habe «aufgrund ihrer hohen Schutz­wir­kung vor einem schwe­ren Verlauf» auch bei Erkran­kun­gen durch Omikron nicht an Bedeu­tung verloren.

Stöhr: Masken tragen und Abstand halten unnötig

Der Virolo­ge Klaus Stöhr sieht dagegen derzeit keinen Grund für verschärf­te staat­li­che Alltags­be­schrän­kun­gen. «Um es ganz klar zu sagen: Masken tragen und Abstand halten ist gegen­wär­tig nicht notwen­dig», sagte er in einem Inter­view von Ippen Media. Es gebe zum einen keine Anzei­chen für eine Überlas­tung des Gesund­heits­we­sens. Zum anderen schöben die Maßnah­men nur die Infek­tio­nen nach hinten. «Verhin­dern wird man sie sowie­so nicht. Damit steigt die Gefahr, dass der Peak im Winter größer wird», sagte der Wissen­schaft­ler, der dem Sachver­stän­di­gen­aus­schuss zur Beurtei­lung der Corona-Beschrän­kun­gen angehört.

Weniger schwe­re Verläu­fe bei Omikron

Seit dem Aufkom­men von Omikron wird ein gerin­ge­rer Anteil schwe­rer Erkran­kun­gen und eine niedri­ge­re Zahl von Todes­fäl­len in Verbin­dung mit Covid-19 erfasst als bei frühe­ren Varian­ten wie Delta. Daran scheint sich laut Bericht auch vorerst nichts zu ändern: Bisher vorlie­gen­de epide­mio­lo­gi­sche Daten ließen «nicht darauf schlie­ßen, dass Infek­tio­nen mit BA.2.12.1, BA.4 oder BA.5 schwe­re­re Krank­heits­ver­läu­fe oder antei­lig mehr Todes­fäl­le verur­sa­chen» als Infek­tio­nen mit den zuvor verbrei­te­ten Subli­ni­en BA.1 und BA.2.

Das RKI empfiehlt dennoch «dringend»», bei neu auftre­ten­den Sympto­men wie etwa Schnup­fen, Halsschmer­zen oder Husten Kontak­te zu meiden und bei Bedarf den Hausarzt zu kontak­tie­ren — unabhän­gig vom Impfsta­tus und auch bei einem negati­ven Schnelltestergebnis.