Die verhin­der­ten Mautbe­trei­ber hatten vorge­legt und den Minis­ter an mehre­ren Fronten unter Druck gesetzt. Scheu­er kam tief in der Nacht als letzter Zeuge zu Wort und versuch­te, brenz­li­ge Punkte abzuräumen.

Ein Angebot der Betrei­ber zu einer Verschie­bung eines Vertrags­schlus­ses bis zu einem Urteil des Europäi­schen Gerichts­hofs (EuGH) habe es nach seiner Erinne­rung nicht gegeben, sagte Scheu­er im Unter­su­chungs­aus­schuss des Bundes­tags. Damit steht Aussa­ge gegen Aussa­ge in dieser Frage, die die Opposi­ti­on beson­ders ins Visier genom­men hat. Drei Manager der Betrei­ber­fir­men hatten im Ausschuss von einem solchen Angebot an Scheu­er berichtet.

Es war kurz nach Mitter­nacht, als der Minis­ter auf das Treffen zu sprechen kam, um das es geht — ein Frühstück am 29. Novem­ber 2018 im Minis­te­ri­um, etwa 45 Minuten lang. Für die späte­re Betrei­ber­sei­te saß der Chef des Ticket­spe­zia­lis­ten CTS Eventim, Klaus-Peter Schulen­berg, dabei. Er habe Scheu­er angebo­ten, mit der Vertrags­un­ter­zeich­nung auf das Urteil zu warten, berich­te­te er. Der habe das aber «entschie­den» abgelehnt. Der Maut-Start müsse 2020 sein, im Wahljahr 2021 sei das inakzep­ta­bel. Der Chef des zweiten Konsor­ti­al­part­ners Kapsch, Georg Kapsch, der ebenfalls teilnahm, bestä­tig­te die Darstellung.

Scheu­er konter­te dies. Es habe auch kein Anlass bestan­den, über eine Verschie­bung eines Unter­zeich­nungs­ter­mins zu sprechen. «Vom Vertrags­schluss war zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sehen.» Denn das Angebot des Konsor­ti­ums lag da noch eine Milli­ar­de Euro über dem von Bundes­tag bewil­lig­ten Rahmen von zwei Milli­ar­den Euro. Außer­dem sei man nach breiter Exper­ti­se davon ausge­gan­gen, dass die Maut vor Gericht durch­geht und eine Nieder­la­ge «total unwahr­schein­lich» sei.

Dieser Punkt spielt in der Aufklä­rung eine große Rolle. Denn Scheu­er wird vorge­wor­fen, die Verträ­ge Ende 2018 geschlos­sen zu haben, bevor Rechts­si­cher­heit bestand. Die Maut lag da schon beim EuGH — der sie im Juni 2019 kippte, weil sie Fahrer aus dem Ausland benach­tei­li­ge. Vor Scheu­er hatte schon sein damali­ger Staats­se­kre­tär Gerhard Schulz im Ausschuss verneint, dass es ein Warte-Angebot der Unter­neh­men gab. Für die Opposi­ti­on ist die Frage noch nicht erledigt. FDP und Grüne kündig­ten zunächst für Schulz an, «wegen Ungereimt­hei­ten und Erinne­rungs­lü­cken» eine Gegen­über­stel­lung der Zeugen zu beantragen.

Scheu­er konter­te auch einen anderen Punkt. Schulen­berg und Kapsch hatten im Ausschuss gesagt, der Minis­ter habe im Novem­ber 2018 «optio­na­le Leistun­gen» in Aussicht gestellt, wenn die Basis­ver­gü­tung im Maut-Angebot reduziert würde. Dabei ging es demnach im Laufe der geplan­ten Vertrags­zeit von zwölf Jahren um eine mögli­che Auswei­tung der Pkw-Maut etwa auch auf Sprin­ter und Fernbus­se — die zu der Zeit aber gar nicht beschlos­sen war. Kapsch sagte, er habe dies katego­risch abgelehnt. Scheu­er sagte, er könne nicht ausschlie­ßen, dass dies Thema gewesen sei. Es sei aber allge­mein um Entwick­lun­gen in Europa über die Nutzer­fi­nan­zie­rung von Straßen gegangen.

Als der Minis­ter kam, hatten die Abgeord­ne­ten schon rund zwölf Stunden Sitzung hinter sich. Im Ausschuss holte der CSU-Mann dann kurz vor der Geister­stun­de erstmal zu einem weiten Bogen in Sachen Maut aus — und verteil­te die politi­sche Verant­wor­tung großflä­chig. «Die Infra­struk­tur­ab­ga­be ist nicht ein Projekt von Minis­ter Scheu­er.» Vom schwarz-roten Koali­ti­ons­ver­trag 2013 bis zum Schei­tern am EuGH seien es 2011 Tage gewesen — in seiner Amtszeit 461 Tage. Und auch als reines CSU-Projekt will Scheu­er die Maut nicht verstan­den wissen.

Er erinner­te an die Ansage von Kanzle­rin Angela Merkel (CDU), kein Inlän­der dürfe drauf­zah­len. Das habe alles anspruchs­vol­ler und die Umset­zung schwie­ri­ger gemacht. Schließ­lich sei das Maut-Modell ein Kompro­miss gewor­den. Und das Gesetz habe samt einer geänder­ten Versi­on zweimal «alle politi­schen Prozes­se» durch­lau­fen, mit Bundes­tag, Bundes­rat und zwei Bundes­prä­si­den­ten. Seine Aufga­be als Minis­ter sei dann gewesen: «Die Exeku­ti­ve setzt Geset­ze um.»

Das ging nach dem Stopp der Maut nicht mehr. Scheu­er vertei­dig­te es, die Verträ­ge mit den Betrei­ber­fir­men direkt nach dem EuGH-Urteil zu kündi­gen — und zwar nicht nur deswe­gen. «Wir konnten nicht zufrie­den sein mit dem Stand der Umset­zung.» Auch damit wider­sprach er den Betrei­bern, die von einer politisch motivier­ten Kündi­gung sprachen. «Wir haben immer sauber gearbei­tet», beteu­er­te Kapsch. Der Bund habe nie mit einem Projekt­ab­bruch gedroht. Die Gründe der Kündi­gung sind wichtig für ein laufen­des Schieds­ver­fah­ren. Die Betrei­ber fordern 560 Millio­nen Euro Schaden­er­satz. Der Bund hält dagegen, dass die Firmen bei einer Kündi­gung aus mehre­ren Gründen gar keine Ansprü­che hätten.

Übermä­ßig zerknirscht mochte sich Scheu­er auch nicht geben, was ganz generell eine Maut in der Zukunft angeht. «Wer nutzt, der zahlt. Dieses Grund­prin­zip leuch­tet ein.» Es könne außer­dem eine ökolo­gi­sche Lenkungs­wir­kung haben. In Europa habe diese Diskus­si­on Aktua­li­tät, und sie werde in den nächs­ten Jahren noch neu entflammen.