BERLIN (dpa) — Der Kanzler ist wieder richtig an Bord nach seinem Urlaub. Auf die Koali­ti­on warten schwie­ri­ge Aufga­ben. Im Sommer­in­ter­view hat Scholz vor allem eine Botschaft.

Die Umfra­ge­wer­te im Keller, die Koali­ti­on bei wichti­gen Vorha­ben zerstrit­ten: Der Kanzler aber will Zuver­sicht ausstrah­len und sieht Deutsch­land auf Kurs. Das ist jeden­falls der Eindruck, den Olaf Scholz erweckte.

Beim ZDF-«Sommerinterview» ging es um viele Themen: um mögli­che neue Waffen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne, die Wirtschafts­la­ge in Deutsch­land, die Migra­ti­ons­po­li­tik, den Zustand der Ampel-Koalition.

Kanzler als Steuer­mann im Regierungsboot

Das Inter­view wurde in Scholz’ Wohnort Potsdam aufge­zeich­net, in einem Ruder­club am Olympia­stütz­punkt. Der SPD-Politi­ker rudert selbst. Auf die Frage, was seine Rolle im «Ruder­boot der Regie­rung» sei, meinte der Kanzler: «Ich bin derje­ni­ge, der das Tempo macht, und das betrach­te ich auch als meine Aufga­be. Und sorge dafür, dass es vorankommt.»

Aller­dings wird im «Ruder­boot der Regie­rung» seit Monaten alles andere als gleich­mä­ßig gerudert. Ein Konflikt vor allem mit der FDP über das Heizungs­ge­setz konnte erst nach langen Verhand­lun­gen gelöst werden. Der Entwurf für den Bundes­haus­halt 2024 konnte wegen engerer finan­zi­el­ler Spiel­räu­me erst mit viel Mühe beschlos­sen werden.

Wichti­ge Vorha­ben sind ungelöst, zum Beispiel die Finan­zie­rung der Kinder­grund­si­che­rung. Uneins ist die Regie­rung auch, wie genau die Wirtschaft angesichts einer Konjunk­tur­flau­te entlas­tet werden soll. Umstrit­ten ist auch der Kurs in der Migra­ti­ons­po­li­tik. Scholz sagte im ZDF nun auf die Frage, ob er Überle­gun­gen von Innen­mi­nis­tern Nancy Faeser (SPD) zur Verschär­fung der Abschie­be­re­geln für ausrei­se­pflich­ti­ge Asylbe­wer­ber unter­stüt­ze: «Ja.»

Schlech­te Umfra­ge­wer­te für Scholz

Die Umfra­ge­wer­te für die Ampel-Partei­en sind seit Monaten schlecht, die AfD dagegen ist auf Höhen­flug. Zum Sommer­in­ter­view mit dem Kanzler gab das ZDF ein «Polit­ba­ro­me­ter extra» in Auftrag. Die Ergeb­nis­se der Umfra­ge: alles andere als berau­schend für Scholz. So sind nur 21 Prozent der Befrag­ten der Meinung, dass sich der Kanzler in wichti­gen politi­schen Fragen eher durch­set­ze. 73 Prozent sagen dagegen, Scholz setze sich eher nicht durch.

Der Kanzler nannte die «Diagno­se» nicht zutref­fend. «Wir haben sehr viele, sehr konkre­te Entschei­dun­gen getrof­fen.» Er wünsche sich, dass das im Ton manch­mal anders statt­fin­de, als es in der Vergan­gen­heit gewesen sei — habe aber den Eindruck, dass sich über den Sommer viele vorge­nom­men hätten, das genau zu ändern. Dass es Diskus­sio­nen gebe, sei kein Problem. «Aber wir brauchen schon einen klaren Kurs, den man auch sehen kann.» Er sei überzeugt, dass die Regie­rung genau das mache, was man für eine gute Zukunft in Deutsch­land brauche — und dass das dann auch bei Wahlen honoriert werde.

Kanzler will hohe Energie­prei­se drücken

Ob aber die Koali­ti­on auf die Worte des Kanzlers hört? Zweifel sind angebracht. Beispiel: die Debat­te um einen Indus­trie­strom­preis. Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) will für eine Übergangs­pha­se einen staat­lich subven­tio­nier­ten Indus­trie­strom­preis, das würde Milli­ar­den kosten. Habeck spricht von einem «Brücken­strom­preis» von sechs Cent je Kilowatt­stun­de für beson­ders energie­in­ten­si­ve Betrie­be. Auch die Gewerk­schaf­ten, viele Wirtschafts­ver­bän­de und die SPD-Frakti­on wollen das. Die FDP lehnt einen Indus­trie­strom­preis ab.

Und der Kanzler? Vor zwei Jahren noch hatte Scholz als Kanzler­kan­di­dat auf dem Tag der Indus­trie einen Indus­trie­strom­preis von vier Cent als Ziel ausge­ge­ben. Am Sonntag äußer­te er sich erneut zurück­hal­tend. «Wir haben eine Haupt­auf­ga­be», so Scholz. «Die besteht darin, dass wir die Strom­prei­se runter­krie­gen, struk­tu­rell. Denn wir werden ja nicht in der Lage sein, dauer­haft Strom­prei­se zu subven­tio­nie­ren.» Scholz beton­te vor allem, es werde nun mehr Tempo gemacht beim Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien und der Stromnetze.

Scholz vertei­digt Wirtschaftsstandort

Wirtschafts­ver­bän­de warnen unter anderem wegen im inter­na­tio­na­len Vergleich hoher Energie­prei­se vor einer zuneh­men­den Abwan­de­rung von Firmen ins Ausland. Außer­dem gebe es zu viel Bürokra­tie und zu wenig Fachkräf­te. Angesichts der Konjunk­tur­flau­te brauche die Wirtschaft breite Entlas­tun­gen. Scholz wehrte sich gegen Stimmen, der Stand­ort sei nicht mehr attrak­tiv. Er verwies auf milli­ar­den­schwe­re Inves­ti­tio­nen auslän­di­scher Konzer­ne in Deutsch­land, etwa aus der Halblei­ter­bran­che. Die Unter­neh­men hätten sich «bewusst» für den Wirtschafts­stand­ort Deutsch­land entschieden.

Marsch­flug­kör­per an Ukrai­ne? Scholz legt sich nicht fest

Die Ukrai­ne macht weiter Druck auf die Bundes­re­gie­rung, Kiew deutsche Taurus-Marsch­flug­kör­per für die Vertei­di­gung gegen Russland zu liefern. Die Ukrai­ne hat schon Marsch­flug­kör­per aus Großbri­tan­ni­en und Frank­reich. Scholz legte sich auch am Sonntag nicht fest. So wie in der Vergan­gen­heit werde die Bundes­re­gie­rung jede einzel­ne Entschei­dung immer sehr sorgfäl­tig überprü­fen — was gehe, was Sinn mache, was der deutsche Beitrag sein könne. Er sprach sich außer­dem für weite­re inter­na­tio­na­le Gesprä­che aus über Wege zu einem Ende des Konflikts.

Scholz wirbt für Kompro­mis­se und Gelassenheit

Heute wurde auch eine Folge des Podcasts «Hotel Matze» mit Scholz veröf­fent­licht. Der Kanzler warb darin für mehr Gelas­sen­heit und Kompro­miss­be­reit­schaft. «Wir können uns nicht immer allei­ne durch­set­zen, nicht alles kann nach unserem Kopf gehen», sagte er. So sei es im Priva­ten, aber auch in der Politik: «Kompro­mis­se gehören dazu, und sie sind nichts Schlechtes.»

Von Andre­as Hoenig, dpa