Er kostet nichts, ist gesund und kann spontan unter­nom­men werden: Der Spazier­gang. Seit Corona ist das Flanie­ren und Schlen­dern verstärkt im Trend — und hat eine neue sozia­le Bedeu­tung bekommen.

Ob in Parks, Wäldern oder zwischen Feldern: In der Corona-Krise ist der gute alte Spazier­gang verstärkt in Mode gekommen.

«Das ist ja auch kein Wunder», sagt Prof. Jens Kleinert von der Abtei­lung Gesund­heit und Sozial­psy­cho­lo­gie der Deutschen Sport­hoch­schu­le Köln. «Viele Orte, wo man sich norma­ler­wei­se mit Freun­den treffen würde, stehen momen­tan nicht zur Verfü­gung — also trifft man sich draußen.» Der Spazier­gang sei zu einem «Medium des sozia­len Mitein­an­ders» gewor­den: «Der Park ist der neue Biergarten.»

Der Anlass für einen Spazier­gang habe sich verän­dert, sagt auch die Kultur­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Gudrun M. König von der TU Dortmund. «Man geht spazie­ren, um jeman­den zu treffen und sich zu unter­hal­ten. Vielleicht hat man eine Thermos­kan­ne mit Kaffee, etwas zum Knabbern oder ähnli­ches dabei, was man norma­ler­wei­se nicht zum Spazier­gang mitneh­men würde.»

Klassi­scher­wei­se führe der Spazier­gang zum Flanie­ren auf die Prome­na­de der Stadt — zum Sehen und Gesehen­wer­den -, oder für Natur­lieb­ha­ber durch Wiesen und Wälder. In der derzei­ti­gen Situa­ti­on sei die Umgebung aber oft zweit­ran­gig, sagt König, die ihre Doktor­ar­beit über die Kultur­ge­schich­te des Spazier­gangs geschrie­ben hat. Auch viele jünge­re Menschen hätten das absichts­lo­se Schlen­dern für sich entdeckt.

«Wir merken seit Corona ein deutlich gestie­ge­nes Inter­es­se am Wandern und Spazie­ren­ge­hen», sagt Nina Dolezych, Spreche­rin der Ruhr Touris­mus GmbH. Viele Menschen im Ruhrge­biet seien auf der Suche nach Anregun­gen und Tipps für kürze­re Spazier­gän­ge wie auch länge­re Wande­run­gen unweit der eigenen Haustür. Die Zugriffs­zah­len für diesen Themen­be­reich auf der Homepage der Metro­po­le Ruhr hätten sich im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit mehr als verdoppelt.

Ähnli­ches beobach­ten die Touris­mus-Exper­ten im Bergi­schen Land: «Beim Verkauf unserer Wander­kar­ten gab es im vergan­ge­nen Jahr eine Steige­rung von mehr als 300 Prozent», berich­tet David Bosbach, Sprecher der Touris­mus­or­ga­ni­sa­ti­on «Das Bergi­sche». Sehr viele Gäste kämen für einen Tages­aus­flug von außer­halb, etwa aus Köln oder dem Ruhrge­biet. Sein Tipp: Man solle sich nicht unbedingt auf «Highlights» wie den Alten­ber­ger Dom oder die Talsper­ren stürzen, sondern lieber Wander­we­ge nutzen, auf denen sich die Besucher besser verteilen.

Die positi­ven gesund­heit­li­chen Aspek­te des Spazier­gangs sind unbestrit­ten und seit langem bekannt. «Bewegung an der frischen Luft ist wohltu­end für Körper und Seele», sagt Sport­psy­cho­lo­ge Kleinert. Da viele Menschen derzeit ihrem gewohn­ten Sport in Verei­nen oder Fitness­stu­di­os nicht nachge­hen könnten, habe der Spazier­gang momen­tan eine beson­de­re Bedeu­tung: «Menschen haben einen Bewegungs­drang — der wird gelöst, indem man eine Runde um den Block geht.»

Hinzu komme, dass die Arbeit im Homeof­fice häufig zu einem Gefühl der Enge und «räumli­chen Unaus­ge­gli­chen­heit» führe, meint Kleinert: «Es ist eine Monoto­nie der Umgebung, man muss zwischen­durch mal etwas anderes sehen — da bietet sich ein kurzer Spazier­gang einfach an.» Auch zum Stress­ab­bau seien kurze Bewegungs­pau­sen wichtig — und zwar am besten, indem man den Arbeits­platz verlas­se und rausge­he. So könne man abschal­ten — aber auch neue Inspi­ra­ti­on erhal­ten: «Offen­bar regt das rhyth­mi­sche Gehen die Gedan­ken­gän­ge an.»

Weite­re «unschlag­ba­re Vortei­le» das Spazier­gangs seien natür­lich, dass er nichts koste und keine Vorbe­rei­tung erfor­de­re, sagt Kultur­wis­sen­schaft­le­rin König: «Man kann einfach losgehen.»