BERLIN (dpa) — Die Ära Angela Merkel ist beendet. Der Bundes­tag wählt Olaf Scholz zum neuen Bundes­kanz­ler. Nun ist er auch vom Bundes­prä­si­den­ten ernannt worden.

Der SPD-Politi­ker Olaf Scholz ist zum neunten Kanzler der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land gewählt worden. Auf ihn entfie­len in gehei­mer Abstim­mung im Bundes­tag 395 von 707 abgege­be­nen Stimmen. Es gab 303 Nein-Stimmen und 6 Enthal­tun­gen, 3 Stimmen waren ungültig.

Zur Wahl des Sozial­de­mo­kra­ten waren 369 Stimmen nötig. SPD, Grüne und FDP, die die erste Ampel-Koali­ti­on im Bund bilden, verfü­gen im Parla­ment zusam­men über 416 Manda­te, liegen also um 47 Manda­te über der sogenann­ten Kanzler­mehr­heit. Einige Abgeord­ne­te fehlten wegen Krankheit.

Kühnert: Bei uns haben alle gestanden

SPD-Vize Kevin Kühnert geht davon aus, dass die Abweich­ler bei der Kanzler­wahl nicht aus Reihen der SPD, sondern von FDP und Grünen kamen. Den Koali­ti­ons­part­nern falle es natur­ge­mäß schwe­rer, jeman­den von einer anderen Partei zum Kanzler zu wählen, sagte Kühnert dem Sender Phoenix. Gefragt nach dem Wahlver­hal­ten der Jusos unter den Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ten sagte er: «Da würde ich meine Hand ins Feuer legen, dass bei uns alle gestan­den haben.»

Scholz nimmt Wahl an

Scholz nahm die Wahl an. Als Erster überreich­te ihm SPD-Frakti­ons­chef Rolf Mützenich einen Blumen­strauß, dann Unions­frak­ti­ons­chef Ralph Brink­haus. Auch der unter­le­ge­ne Unions­kanz­ler­kan­di­dat Armin Laschet gratulierte.

Scholz hat im Bundes­tag seinen Amtseid abgelegt. Er schwor unter anderem, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.

Damit ist die Ära von Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren beendet. Der 63-jähri­ge Scholz ist erst der vierte SPD-Kanzler in der Geschich­te der Bundes­re­pu­blik — nach Willy Brandt (1969–1974), Helmut Schmidt (1974–1982) und Gerhard Schrö­der (1998–2005). Die CDU stell­te bislang die vier Kanzler Konrad Adenau­er, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesin­ger und Helmut Kohl sowie zuletzt Kanzle­rin Merkel.

Von ihr wird Scholz am Nachmit­tag im Kanzler­amt die Amtsge­schäf­te überneh­men. Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er ernann­te den SPD-Politi­ker zum Nachfol­ger von Merkel. Stein­mei­er wird später auch das aus acht Frauen und acht Männern bestehen­de Kabinett von Scholz ernennen.

Merkel auf Gästetribüne

Merkel verfolg­te die Kanzler­wahl auf der Gäste­tri­bü­ne des Bundes­tags. Als sie bei der Eröff­nung der Sitzung von Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD) begrüßt wurde, standen die Abgeord­ne­ten — mit Ausnah­me der AfD-Parla­men­ta­ri­er — auf und klatsch­ten stehend Beifall. Der letzte SPD-Kanzler Schrö­der war ebenso mit seiner Frau in den Bundes­tag gekom­men wie Altbun­des­prä­si­dent Joachim Gauck.

Die SPD hatte die Bundes­tags­wahl am 26. Septem­ber gewon­nen und war nach einer Aufhol­jagd mit 25,7 Prozent stärks­te Kraft vor der CDU/CSU (24,1 Prozent) gewor­den. Rechne­risch möglich wäre auch ein Jamai­ka-Bündnis aus Union, Grünen und FDP gewesen. Die zwei kleine­ren Partei­en entschie­den sich jedoch für Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen mit der SPD. Ihr dann ausge­han­del­ter 177 Seiten starker Koali­ti­ons­ver­trag steht unter dem Leitmo­tiv «Mehr Fortschritt wagen».

Koali­ti­ons­ver­trag

SPD, Grüne und FDP wollen unter anderem die Mietpreis­brem­se für Neuver­mie­tun­gen verlän­gern. Auf angespann­ten Wohnungs­märk­ten sollen Mieterhö­hun­gen in bestehen­den Mietver­hält­nis­sen begrenzt werden. Strom­kun­den sollen durch den Wegfall der EEG-Umlage zur Förde­rung des Ökostroms Anfang 2023 entlas­tet werden.

Bis 2030 soll Deutsch­land 80 Prozent seines Stroms aus erneu­er­ba­ren Energien bezie­hen. Die Ampel-Partei­en wollen den öffent­li­chen Nahver­kehr stärken und dazu vom kommen­den Jahr an die sogenann­ten Regio­na­li­sie­rungs­mit­tel erhöhen. Der gesetz­li­che Mindest­lohn soll auf 12 Euro steigen.

Zum Schutz der Bundes­wehr-Solda­ten bei Auslands­ein­sät­zen wollen die Ampel-Partei­en eine Bewaff­nung von Drohnen ermög­li­chen. Sie verstän­dig­ten sich auf ein neues Bundes­mi­nis­te­ri­um für Bauen und auf eine Erwei­te­rung des Wirtschafts­mi­nis­te­ri­ums um das Thema Klimaschutz.

Im kommen­den Jahr will die Ampel-Koali­ti­on wegen der andau­ern­den Pande­mie­fol­gen noch einmal neue Kredi­te aufneh­men, ab 2023 dann aber die im Grund­ge­setz veran­ker­te Schul­den­brem­se wieder einhal­ten. Neue Steuern oder Steuer­erhö­hun­gen soll es nicht geben. Kommu­nen mit hohen Altschul­den sollen entlas­tet werden.

Partei­ta­ge von SPD und FDP hatten den Koali­ti­ons­ver­trag am Wochen­en­de mit jeweils mehr als 90 Prozent Zustim­mung angenom­men, eine Mitglie­der­be­fra­gung der Grünen dazu ergab eine Zustim­mung von rund 86 Prozent.

Neue Bundes­re­gie­rung

In der neuen Regie­rung stellt die SPD sieben Minis­te­rin­nen und Minis­ter: Wolfgang Schmidt (Kanzler­amts­chef), Karl Lauter­bach (Gesund­heit), Huber­tus Heil (Arbeit und Sozia­les), Nancy Faeser (Innen), Chris­ti­ne Lambrecht (Vertei­di­gung), Klara Geywitz (Bau) und Svenja Schul­ze (Entwick­lung). Für die Grünen sind im Kabinett: Annale­na Baerbock (Außen), Robert Habeck (Wirtschaft und Klima­schutz), Anne Spiegel (Familie), Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Agrar). Habeck ist auch Vizekanz­ler. Die Kabinetts­mit­glie­der der FDP sind: Chris­ti­an Lindner (Finan­zen), Volker Wissing (Verkehr), Marco Busch­mann (Justiz) und Betti­na Stark-Watzin­ger (Bildung).