BERLIN (dpa) — Trotz des guten Willens Deutsch­lands zur Hilfe für die Ukrai­ne herrsch­te wochen­lang eine Art Eiszeit zwischen Berlin und Kiew. Doch jetzt scheint das Eis zu tauen.

Nach wochen­lan­ger Verär­ge­rung zwischen Berlin und Kiew kommt Bewegung in die verfah­re­ne Situa­ti­on. Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er telefo­nier­te am Donners­tag mit dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selenskyj.

«Irrita­tio­nen der Vergan­gen­heit wurden ausge­räumt», teilte Stein­mei­ers Spreche­rin Cerstin Gammel­in anschlie­ßend mit. Selen­skyj sprach auf Twitter von einem «guten, konstruk­ti­ven und wichti­gen Gespräch». Er lud, wie es aus dem Bundes­prä­si­di­al­amt hieß, sowohl Stein­mei­er persön­lich wie auch die gesam­te Bundes­re­gie­rung zu Besuchen nach Kiew ein.

Baerbock und Bas reisen in die Ukraine

Als erstes Regie­rungs­mit­glied wird Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) in den kommen­den Tagen in die Ukrai­ne reisen. Das war am Abend aus dem Auswär­ti­gen Amt zu hören. Die Reise­plä­ne seien «auch ein Ergeb­nis» des Gesprächs zwischen Stein­mei­er und dem ukrai­ni­schen Staats­prä­si­den­ten, hieß es dazu weiter. Zuvor hatte Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) am Abend bei einer Presse­kon­fe­renz angekün­digt, Baerbock wolle «demnächst» in die Ukrai­ne reisen.

Ob und wann er selber nach Kiew kommt, ließ der Kanzler aller­dings offen. Und dass Baerbock eine Reise in die ukrai­ni­sche Haupt­stadt plant, hatte sie bereits am vergan­ge­nen Sonntag in einer Talkshow selber angedeu­tet — jedoch noch ohne einen konkre­ten Zeitpunkt zu nennen.

Zunächst wird am kommen­den Wochen­en­de die zweit­höchs­te politi­sche Reprä­sen­tan­tin Deutsch­lands dort erwar­tet: Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD) habe «den Wunsch zu einer Reise in die Ukrai­ne, um auf Einla­dung ihres ukrai­ni­schen Amtskol­le­gen Ruslan Stefant­schuk gemein­sam mit ihm aller Opfer des Zweiten Weltkriegs zu geden­ken und politi­sche Gesprä­che zu führen», sagte eine Bundes­tags­spre­che­rin. Das Weltkriegs­ge­den­ken findet am 8. Mai, also am Sonntag statt. Dann wird das Kriegs­en­de 1945 durch die bedin­gungs­lo­se Kapitu­la­ti­on der deutschen Wehrmacht gefeiert.

Stein­mei­er und Selen­skyj wollen «engen Kontakt» halten

«Der Bundes­prä­si­dent hat dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten seine Solida­ri­tät, Respekt und Unter­stüt­zung für den mutigen Kampf des ukrai­ni­schen Volkes gegen die russi­schen Aggres­so­ren ausge­spro­chen», sagte die Spreche­rin Stein­mei­ers weiter. Er und Selen­skyj bezeich­ne­ten ihr Gespräch den Angaben zufol­ge als «sehr wichtig» und «sehr gut». «Beide Präsi­den­ten verein­bar­ten, in engem Kontakt zu bleiben.»

Selen­skyj berich­te­te auf Twitter, er habe Stein­mei­er für die große Unter­stüt­zung gedankt. Kiew erwar­te, dass diese noch gestei­gert werde. Deutsche Führer­schaft sei wichtig, um der russi­schen Aggres­si­on entge­gen­zu­tre­ten. Er habe Stein­mei­er auch über die Situa­ti­on an der Front und die kriti­sche Lage in Mariu­pol infor­miert. Der Leiter des ukrai­ni­schen Präsi­di­al­am­tes, Andrij Jermak, schrieb im Nachrich­ten­dienst Telegram: «Deutsch­land bleibt ein mächti­ger Verbün­de­ter der Ukraine.»

Deswe­gen wollte Scholz nicht nach Kiew

Die Irrita­tio­nen waren zustan­de gekom­men, nachdem die ukrai­ni­sche Seite Mitte April einen Besuch Stein­mei­ers in Kiew abgelehnt hatte. Der Bundes­prä­si­dent wollte die ukrai­ni­sche Haupt­stadt zusam­men mit den Präsi­den­ten Polens und der drei balti­schen Staaten besuchen, wurde zur Verär­ge­rung Berlins aber im letzten Moment ausgeladen.

Wegen dieses Affronts lehnt Kanzler Scholz eine Reise nach Kiew seitdem ab, obwohl er dort, wie Botschaf­ter Andrij Melnyk deutlich gemacht hat, willkom­men wäre. «Es ist ein Problem, dass der Präsi­dent der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land ausge­la­den wurde. Und das steht im Raum», sagte Scholz zuletzt am Mittwoch nach der Kabinetts­klau­sur in Schloss Meseberg. Das sei eine Angele­gen­heit, «wo die Ukrai­ne auch ihren Beitrag zu leisten muss, im Gespräch mit dem Bundes­prä­si­den­ten, in Diskus­sio­nen, die da stattfinden.»

Die ersten Schrit­te sind getan

Dieser erste Schritt ist nun mit dem rund 45 Minuten langen Telefo­nat von Stein­mei­er und Selen­skyj getan. Als zweiter Schritt kann die Teilnah­me von Bundes­tags­prä­si­den­tin Bas am Weltkriegs­ge­den­ken in Kiew angese­hen werden — eine Geste, die dort dem Verneh­men nach sehr geschätzt wird.

Der Stimmung in Berlin nicht förder­lich war in den vergan­ge­nen Wochen auch die ständi­ge Kritik aus der Ukrai­ne an der angeb­li­chen deutschen Zöger­lich­keit bei der Liefe­rung von Waffen für den Abwehr­kampf gegen Russland. In der kurzen Erklä­rung des Bundes­prä­si­di­al­amts zum Gespräch Stein­mei­ers mit Selen­skyj wurde nochmals betont: «Deutsch­land hat die Ukrai­ne in ihrem Vertei­di­gungs­kampf von Anfang an finan­zi­ell, wirtschaft­lich und auch militä­risch unter­stützt und steht mit verein­ten Kräften und solida­risch an der Seite der Ukrai­ner.» Daran ändere auch seine Ausla­dung nichts, wie Stein­mei­er mehrfach betonte.

Merz sieht sich als Vermittler

Wegen der Ausla­dung von Stein­mei­er und der dadurch verur­sach­ten Weige­rung von Scholz, nach Kiew zu fahren, war der CDU-Vorsit­zen­de Fried­rich Merz der erste hochran­gi­ge deutsche Politi­ker, der nach Ausbruch des Krieges dorthin kam. Für ihn nahm sich Präsi­dent Selen­skyj am vergan­ge­nen Diens­tag gut eine Stunde Zeit. Merz schrieb es am Donners­tag sich zugute, dass es nun zur Entspan­nung zwischen Stein­mei­er und Selen­skyj kam.

«Ich bin Präsi­dent Selen­skyj sehr dankbar, dass er meiner Bitte um eine Einla­dung des Bundes­prä­si­den­ten gefolgt ist», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Der Weg ist jetzt frei für persön­li­che Begeg­nun­gen des Bundes­prä­si­den­ten und des Bundes­kanz­lers mit Präsi­dent Selen­skyj in Kiew.»

Von Ulrich Stein­kohl, Fatima Abbas und Axel Hofmann, dpa