BERLIN (dpa) — Bei politi­schen Erdbe­ben richten die Politi­ker ihre Blicke auch auf die Geheim­diens­te und ihre Infor­ma­tio­nen. In Deutsch­land komme nicht genug, meint die Vorsit­zen­de des Verteidigungsausschusses.

Die Vorsit­zen­de des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses, Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann, hält die Leistungs­fä­hig­keit der deutschen Nachrich­ten­diens­te in Krisen­la­gen für nicht mehr ausrei­chend. «Man benötigt offen­sicht­lich mehr Mitar­bei­ter und Mitar­bei­te­rin­nen, die aber auch grünes Licht bekom­men sollten, näher am Gesche­hen aktiv zu sein», sagte die FDP-Politi­ke­rin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Wir stützen unser Wissen auch auf befreun­de­te Diens­te. Daraus leiten wir dann unsere Infor­ma­tio­nen ab und machen uns ein Bild der Lage. Kann es sein, dass andere Länder deutlich forscher und genau­er hinschauen?»

Nach dem bewaff­ne­ten Aufstand des Chefs der russi­schen Söldner­or­ga­ni­sa­ti­on Wagner, Jewge­ni Prigo­schin, gegen Moskaus Militär­füh­rung war Kritik am Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND) laut gewor­den. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hatte erken­nen lassen, dass der deutsche Auslands­nach­rich­ten­dienst von dem Aufstand überrascht wurde.

Hindu­kusch, Mali, Russland

Strack-Zimmer­mann sieht Defizi­te seit mehre­ren Jahren und verweist auf die Macht­über­nah­me der Taliban am Hindu­kusch 2021. «Taliban, Afgha­ni­stan. Wir haben diesbe­züg­lich keiner­lei Infor­ma­tio­nen bekom­men. Und standen ziemlich blank da», sagte sie. «So auch beim russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne am 24. Febru­ar 2022. Wir wurden bis zu diesem Tag zwar darüber infor­miert, dass die russi­sche Armee auch Logis­tik und Blutkon­ser­ven vorhält, mehr aber auch nicht.»

Bei der Bewer­tung der Lage im westafri­ka­ni­schen Mali — wo die Bundes­wehr im Blauhelm-Einsatz ist — habe man auf nähere Infor­ma­tio­nen darüber gewar­tet, inwie­weit die Übergangs­re­gie­rung des Landes das UN-Mandat komplett beendet sehen wolle, sagte Strack-Zimmer­mann. Sicher­lich sei nicht alles vorher­seh­bar, aber in Mali sei ein genaue­rer Blick nötig gewesen, zumal die Söldner­trup­pe Wagner dort lange präsent «und sowohl militä­risch als auch politisch und strate­gisch relevant» sei.

Die Situa­ti­on bei Prigosch­ins Wagner-Aufstand in Russland sieht sie damit in einer Reihe: «War für den Dienst offen­sicht­lich auch komplett überra­schend. Dass sind nun vier bedeu­ten­de Ereig­nis­se in kürzes­ter Abfol­ge, die im Vorfeld nicht aufge­klärt oder schlicht­weg nicht richtig einge­ord­net worden sind.»

Sie glaube, dass es im Geheim­dienst-Apparat auch ein menta­les Struk­tur­pro­blem gebe. Der Grund dafür könne sein, dass Deutsch­land nach Ende des Kalten Kriegs bestimm­te Gefah­ren schlicht­weg ausge­blen­det habe. Zuvor habe die alte Bundes­re­pu­blik ein realis­ti­sches Gefah­ren­sze­na­rio und auch einen starken Geheim­dienst gehabt. Strack-Zimmer­mann: «Selbst unter dem Friedens­no­bel­preis­trä­ger Kanzler Willy Brandt steck­te Deutsch­land 3,5 Prozent des Brutto­in­lands­pro­duk­tes in die Verteidigung.»

Vor drei Wochen hatte der frühe­re BND-Präsi­dent Gerhard Schind­ler der Politik vorge­hal­ten, die Fähig­kei­ten des Bundes­nach­rich­ten­diens­tes in den vergan­ge­nen Jahren zu stark beschnit­ten zu haben. «Wer dem BND einen juris­ti­schen Brocken nach dem anderen in den Weg legt, der muss sich nicht wundern, dass dies Auswir­kun­gen auf die Leistungs­fä­hig­keit bei der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung hat», hatte der 70-Jähri­ge der dpa gesagt. Er ergänz­te: «Die Mutati­on von einem operie­ren­den Nachrich­ten­dienst in eine mit sich selbst beschäf­tig­te Verwal­tungs­be­hör­de ist politisch gewollt. Die Geset­zes­än­de­run­gen der letzten Jahre haben doch genau dies bewirkt.»