STUTTGART (dpa/lsw) — Baden-Württem­berg macht Ernst mit den bundes­weit härtes­ten Einschrän­kun­gen für ungeimpf­te Erwach­se­ne im Fall einer Überlas­tung der Klini­ken mit Covid-19-Patien­ten. Werden die neuen Grenz­wer­te überschrit­ten, soll im Südwes­ten die harte 2G-Regel gelten, sagte Uwe Lahl, Amtschef im Sozial­mi­nis­te­ri­um am Donners­tag der Deutschen Presse-Agentur. Dann hätten Ungeimpf­te keinen Zutritt mehr zu Restau­rants, Kultur- und Sport­ver­an­stal­tun­gen und müssten ihre sozia­len Kontak­te daheim auf ein Minimum reduzie­ren. Die FDP-Frakti­on kriti­sier­te, die Pläne glichen «mittel­al­ter­li­chen Daumen­schrau­ben», um die Menschen zum Impfen zu bringen.

Die harte 2G-Regel im Südwes­ten ist anders als etwa in Hamburg, wo Veran­stal­ter und Wirte beim Options­mo­dell selbst entschei­den können, ob sie nur Geimpf­te und Genese­ne einlas­sen. Bisher gilt in Baden-Württem­berg noch die 3G-Regel, wonach Getes­te­te den Geimpf­ten und Genese­nen gleich­ge­stellt sind. Die neue Corona-Verord­nung soll an diesem Montag — zu Schul­be­ginn — in Kraft treten. Exper­ten im Landes­ge­sund­heits­amt rechnen damit, dass die unteren Grenz­wer­te womög­lich schon in der kommen­den Woche überschrit­ten werden.

In Warnstu­fe 1 gelten schon Kontaktbeschränkungen

Die erste Warnstu­fe soll nach Lahls Worten landes­weit gelten, sobald 250 Inten­siv­bet­ten mit Covid-19-Patien­ten belegt sind oder 8 von 100 000 Einwoh­nern inner­halb von sieben Tagen mit Sympto­men in eine Klinik einge­lie­fert worden sind. Dann sollen Ungeimpf­te nur noch mit einem PCR-Test Zugang zu bestimm­ten öffent­li­chen Berei­chen haben. Zudem dürfen sich — ebenfalls im Falle von Ungeimpf­ten — nur noch zwei Famili­en treffen. Intern ist man sich bewusst, dass die Regel nur schwer zu überprü­fen sein wird. Sie habe deshalb vor allem appel­la­ti­ven Charak­ter. Das Land will die Alarm­stu­fe auslö­sen, wenn 390 Covid-Patien­ten auf Inten­siv­sta­tio­nen behan­delt werden oder die sogenann­te Hospi­ta­li­sie­rungs­in­zi­denz bei 12 liegt. Dann soll die 2G-Regel gelten. In der Alarm­stu­fe sei 2G eine «harte Regelung», beton­te Lahl. Auch Hessen will ein solches Options­mo­dell einführen.

Lahl: Verschär­fung könnte schon im Oktober erreicht sein

Dass es schon bald so kommen könnte, davon zeigt sich Lahl überzeugt. Die bishe­ri­gen Progno­sen des Landes­ge­sund­heits­amts seien eher vorsich­tig, sagte er der «Heilbron­ner Stimme» (Freitag). Er erwar­te bei der Hospi­ta­li­sie­rung durch die Urlaubs­rück­keh­rer einen Sprung nach oben. «Wenn sich die Entwick­lung der letzten Wochen fortsetzt, werden wir Ende des Monats die 250 errei­chen und die 390 dann im Oktober», sagte Lahl. Zudem rechnet er mit einer Klage­wel­le, falls die 2G-Regel umgesetzt werde. «Die neue Verord­nung ist meines Erach­tens aber rechts­si­cher», sagte er der Zeitung.

Warnung: Patien­ten könnten vor Inten­siv­sta­tio­nen sterben

Der Amtschef im Stutt­gar­ter Sozial­mi­nis­te­ri­um beton­te, die Eingrif­fe seien auf die Zeit begrenzt, in der die Inten­siv­sta­tio­nen überlas­tet sein werden. Das sei in erster Linie auch im Inter­es­se der Ungeimpf­ten, da vor allem sie die Inten­siv­bet­ten bräuch­ten. Wenn der Staat bei einer Überlas­tung nicht hande­le, seien diese Patien­tin­nen und Patien­ten «dem Tode geweiht»: «Wenn sie keinen Platz auf der Inten­siv­sta­ti­on bekom­men, dann werden sie vor der Inten­siv­sta­ti­on sterben», warnte Lahl.

Derzeit liegen 171 Covid-Patien­ten auf den Inten­siv­sta­tio­nen des Landes. Der Hospi­ta­li­sie­rungs­in­dex liegt bei 2,31. Vor allem wegen der Reise­rück­keh­rer aus dem Ausland rechnet das Land mit steigen­den Inziden­zen und deutlich mehr Inten­siv­pa­ti­en­ten, wenn die Schul­fe­ri­en an diesem Wochen­en­de enden. Nach einer Progno­se des Landes­ge­sund­heits­amts könnte in gut einer Woche der Grenz­wert von 250 beleg­ten Inten­siv­bet­ten überschrit­ten werden. Die Marke 300 könnte am 20. Septem­ber erreicht sein.

Die geplan­te neue Corona-Verord­nung soll an diesem Freitag in der Landes­re­gie­rung endgül­tig abgestimmt werden und ab Montag gelten. Zuvor befasst sich der Bundes­rat am Freitag noch mit dem geänder­ten Infek­ti­ons­schutz­ge­setz, wonach die Zahl der Corona-Patien­ten in den Klini­ken die wichtigs­te Messlat­te sein soll.

Opposi­ti­on bemän­gelt enormen Druck auf Ungeimpfte

FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke hält die geplan­ten Eingrif­fe nicht für verhält­nis­mä­ßig. «Hier wird völlig verkannt, dass es auch Perso­nen gibt, die sich aus gesund­heit­li­chen Gründen gar nicht impfen lassen können.» Auch der Impffort­schritt werde nicht berück­sich­tigt. Es sei auch unzumut­bar, wenn der Zugang in ein Restau­rant nur noch mit einem sehr teuren PCR-Test möglich sei. Rülke sagte: «Es wächst der Eindruck, dass es eher darum geht, durch enormen Druck die Menschen zum Impfen zu zwingen.»

Der AfD-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Bernd Gögel kriti­sier­te die 2G-Pläne scharf. Sie seien als «indirek­ter Impfzwang» zu verste­hen und sollten als Grund­la­ge für den kommen­den Lockdown für Ungeimpf­te dienen. «Das ist totali­tär, verfas­sungs­wid­rig und wird von uns nicht hinge­nom­men», schimpf­te Gögel. Er sei überzeugt, dass diese Regelung vor Verfas­sungs­ge­rich­ten keinen Bestand haben werde. Von Henning Otte, dpa