Gewalt an Frauen ist in der Türkei, wie in vielen Ländern, ein verbrei­te­tes Problem. Nun tritt die Türkei aus einem Abkom­men aus, das Frauen schüt­zen soll. Die Empörung ist groß.

ISTANBUL (dpa) — Die Türkei ist aus der Istan­bul-Konven­ti­on des Europa­rats ausge­tre­ten, die Gewalt gegen Frauen verhin­dern und bekämp­fen soll. Ein entspre­chen­des Dekret des Präsi­den­ten Recep Tayyip Erdogan wurde in der Nacht zu Samstag im Amtsblatt veröffentlicht.

Die Entschei­dung stieß auf schar­fe Kritik. Die Bundes­re­gie­rung sprach von einem falschen Signal an Europa, aber vor allem an die Frauen in der Türkei. Die Grünen-Politi­ke­rin Claudia Roth bezeich­ne­te den Schritt als «Schlag ins Gesicht» für alle Frauen und demokra­tisch gesinn­ten Menschen in der Türkei. Erdogan hatte erst Anfang März einen «Aktions­plan für Menschen­rech­te» angekün­digt, darun­ter den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.

Die Istan­bul Konven­ti­on — eine inter­na­tio­na­le Verein­ba­rung — war 2011 vom Europa­rat ausge­ar­bei­tet worden und sollte einen europa­wei­ten Rechts­rah­men schaf­fen, um Gewalt gegen Frauen zu verhü­ten und zu bekämp­fen. Erdogan selbst hatte die Konven­ti­on in Istan­bul, dem Ort der finalen Einigung, unter­schrie­ben, damals noch als Minis­ter­prä­si­dent. Später wurde sie in der Türkei zwar auch entspre­chend ratifi­ziert, laut der Organi­sa­ti­on «Wir werden Frauen­mor­de stoppen» aber nie angewendet.

In den vergan­ge­nen Monaten gab es immer wieder Diskus­sio­nen über einen mögli­chen Austritt aus der Konven­ti­on. Sie war von einer konser­va­tiv-religiö­sen Platt­form losge­tre­ten worden, die unter anderem Religi­on, Ehre und Anstand durch das Abkom­men gefähr­det sah.

Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei ein verbrei­te­tes Problem. Nach Angaben von Frauen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wurden allein im vergan­ge­nen Jahr mindes­tens 300 Frauen in der Türkei von Männern ermor­det. Erst kürzlich sorgten die Verge­wal­ti­gung und der Mord an einer 92-Jähri­gen für Empörung sowie das Video einer bruta­len Tat, bei der sich ein Mann an seiner Ex-Frau verging.

Nach dem Austritt aus der Konven­ti­on riefen die Aktivis­tin­nen von «Wir werden Frauen­mor­de stoppen» nun via Twitter zu Protes­ten auf. Die General­se­kre­tä­rin Fidan Atase­lim sagte, die Regie­rung gefähr­de mit dem Austritt das Leben von Millio­nen Frauen. Sie forder­te die Führung auf, die Entschei­dung zurück­zu­neh­men und die Konven­ti­on anzuwen­den. In einem auf Twitter geteil­ten Video sagte sie: «Ihr könnt Millio­nen Frauen nicht zu Hause einsper­ren, ihr könnt Millio­nen Frauen nicht von den Straßen und Plätzen ausradieren.»

Die stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de der größten Opposi­ti­ons­par­tei CHP, Gökce Gökcen, erklär­te, ein Austritt bedeu­te, dass Frauen weiter «Bürger zweiter Klasse sind und getötet werden». Der opposi­tio­nel­le Istan­bu­ler Bürger­meis­ter Ekrem Imamo­g­lu schrieb auf Twitter, der Austritt aus der Konven­ti­on sei «sehr schmerz­haft». Dies missach­te den jahre­lan­gen Kampf von Frauen.

Die Grünen-Politi­ke­rin Roth verur­teil­te den Austritt ebenfalls scharf. Die Bundes­tags­vi­ze­prä­si­den­tin sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Austritt zeige, «wie hohl und substanz­los die bishe­ri­gen Behaup­tun­gen und Ankün­di­gun­gen von Erdogan und seiner Regie­rung sind, man arbei­te an der Wieder­an­nä­he­rung zu Europa und an einem neuen Menschen­rechts­plan». In einer gemein­sa­men Erklä­rung mit dem Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir hieß es, der Austritt aus der Istan­bul-Konven­ti­on sei «ein weite­res Zeichen dafür, dass die univer­sa­len Menschen­rech­te für die türki­sche Regie­rung nichts als ein Störfak­tor sind».

Vizeprä­si­dent Fuat Oktay vertei­dig­te die Entschei­dung dagegen und schrieb auf Twitter, die Türkei müsse andere nicht imitie­ren. Die Lösung für den Schutz von Frauen­rech­ten «liegt in unseren eigenen Bräuchen und Traditionen».

Der Europa­rat sprach von «verhee­ren­den Nachrich­ten». Dieser Schritt sei ein «großer Rückschlag» für die Bemühun­gen, Frauen zu schüt­zen. Er gefähr­de den Schutz von Frauen «in der Türkei, in ganz Europa und darüber hinaus», hieß es in einer Erklärung.

Heftig wurde auch die Art und Weise des Austritts kriti­siert. Die Anwalts­ver­ei­ni­gung aus Istan­bul etwa monier­te via Twitter, der Präsi­dent habe nicht die Befug­nis, inter­na­tio­na­le Abkom­men per Dekret aufzukündigen.

Zum Inter­na­tio­na­len Frauen­tag hatten am 8. März in Istan­bul Tausen­de Menschen fried­lich für Gleich­be­rech­ti­gung und gegen Gewalt an Frauen demons­triert. Erdogan hatte an dem Tag gesagt, man wolle stärker gegen Gewalt an Frauen vorge­hen und Famili­en, deren Funda­ment «Mann und Frau» seien, als Insti­tu­ti­on stärken.