BERLIN (dpa) — Armin Laschet und Annale­na Baerbock liegen vier Wochen vor der Bundes­tags­wahl deutlich hinten — beim TV-Triell setzen sie auf Angriff. Der aktuel­le Umfra­ge­kö­nig reagiert betont gelassen.

Wenn Armin Laschet nervös ist, kann er es an diesem Abend ziemlich gut verbergen.

Beim ersten großen TV-Schlag­ab­tausch redet der immens unter Druck stehen­de Kanzler­kan­di­dat der Union am Sonntag­abend bei den Sender RTL und ntv bestimmt und meist ruhig, setzt auf Attacke, verkneift sich generv­te Reaktio­nen und neue Patzer.

Dabei geht es für ihn um alles oder nichts: Vergeigt er gleich das erste TV-Triell vier Wochen vor der Bundes­tags­wahl, dürfte die Aussicht, nach 16 Jahren Angela Merkel doch noch das Kanzler­amt zu vertei­di­gen, gegen Null sinken. So desas­trös sind die Umfra­ge­wer­te der Union, so katastro­phal die Beliebt­heits­wer­te des Kandidaten.

Vizekanz­ler Olaf Scholz, der mit seiner SPD in den Umfra­gen teils deutlich vor der Union von Laschet liegt, bleibt beim erfolg­rei­chen Kurs der vergan­ge­nen Wochen: Er gibt sich staats­män­nisch als mögli­cher Nachfol­ger der immer noch äußerst belieb­ten CDU-Kanzle­rin. Wenn Laschet und Baerbock sich fetzen in der Diskus­si­on, lehnt er sich oft ziemlich entspannt zurück.

Baerbock setzt auf Attacke gegen beide Seiten, von Anfang an. Sie zeigt sich munter, nachdem sie nach ihrem vermas­sel­ten Wahlkampf­start oft verhal­ten rüber­ge­kom­men war. Sie wirkt angriffs­lus­tig, fordert eine grund­le­gen­de Erneue­rung. Natür­lich, denn sie ist in der Opposi­ti­on, Laschet wie Scholz gehören den Partei­en an, die derzeit die Regie­rung bilden. Baerbock war mit ihren Grünen in den vergan­ge­nen Wochen hinter Scholz und die SPD gerutscht, nun muss sie Boden gut machen — um überhaupt noch ein starkes Grünen-Ergeb­nis zu errei­chen, wenn es auch nichts mit dem Kanzler­amt werden sollte.

Kaum persön­li­che Attacken

Schon gleich am Anfang wird deutlich, wie die Rollen verteilt sind an diesem Abend. «Die Jahre des Abwar­tens der großen Koali­ti­on von SPD und CDU haben diesem Land nicht gut getan. Wir brauchen jetzt einen wirkli­chen Aufbruch», sagt Baerbock.

Als die Modera­to­ren dann auch von Scholz wissen wollen, warum Laschet denn nicht Kanzler könne, gibt der aktuel­le Vizekanz­ler zurück: «Ich glaube, dass das nicht der Stil ist, den wir in Deutsch­land pflegen sollten, dass wir über die anderen sagen, was sie nicht können. Wir sollten für das werben, was uns selber wichtig ist.» Und auch Laschet sagt, er würde sich «auch gerne daran halten, dass ich dafür werbe, wofür ich stehe». Er regie­re ja ein großes Land mit all den Gegen­sät­zen, die es in ganz Deutsch­land gebe.

Inhalt­lich hart, aber weitge­hend ohne persön­li­che Attacken geht es dann in den knapp zwei Stunden Triell zu. Beim Thema Afgha­ni­stan sind Scholz und Laschet gegen­über Baerbock eher in der Defen­si­ve, als Vertre­ter der Regie­rungs­ko­ali­ti­on. Die Grüne hält den Vertre­tern der Regie­rungs­par­tei­en ein Wegdu­cken vor, beschreibt die Bilder verängs­tig­ter Menschen, die sich in Evaku­ie­rungs-Flugzeu­gen drängen: «Da zieht sich mir das Herz zusammen.»

Laschet nimmt sich viel Zeit, seine Pläne für einen Natio­na­len Sicher­heits­rat auszu­brei­ten. Scholz und dessen SPD verhin­de­re den Einsatz von Drohnen zum Schutz der Bundes­wehr, Baerbock habe sich beim letzten Afgha­ni­stan-Mandat enthal­ten, wettert der CDU-Chef. «Bleiben Sie mal bei den Fakten», keilt Scholz zurück. Baerbock ätzt, Laschet solle doch bitte­schön nicht nur seinen Sprech­zet­tel vorlesen.

Beim Thema Corona geht es ebenfalls mit harten Banda­gen zu. Der Vizekanz­ler gibt sich als Warner, Laschet sagt auch, man müsse vorsich­tig sein, aber: «Wir werden mit dem Virus leben müssen.» Als dem NRW-Minis­ter­prä­si­dent ein Zickzack-Kurs in der Corona­po­li­tik vorge­hal­ten wird, reagiert er dann doch ein wenig genervt: Bei ihm sei es immer um ein Abwägen gegan­gen zwischen dem Schutz vor dem Virus und den anderen Folgen. Das hätten «manche böswil­li­gen Leute» dann Zickzack­kurs genannt. Als Baerbock bei den noch häufig fehlen­den Luftfil­tern in den Schulen den Finger in die Wunde liegt, könnte sie bei vielen Famili­en gepunk­tet haben.

Noch mehr Schär­fe kommt auf, als es ums Thema Klima geht und die Modera­to­ren wissen wollen, was die Kandi­da­ten als Kanzler denn als erstes verbie­ten wollten. «Gar nichts», sagte Laschet und hält Baerbock vor, sie habe als Konzept nur das Verbot des Verbren­ner­mo­tors. Da habe Laschet wohl nicht richtig zugehört, entgeg­net Baerbock schlag­fer­tig. Auch Scholz will nichts verbie­ten, hält Laschet aber vor, das CDU-geführ­te Wirtschafts­mi­nis­te­ri­um bremse und die Union weige­re sich sowie­so, die Klima­zie­le nach oben zu setzen. Klar wird: Grüne und SPD dürften sich bei diesem Thema wohl näher sein, als Union und Grüne.

R2G nur mit Bekennt­nis zur Nato

Steuern, Frauen­po­li­tik, Gender­spra­che — viel Neues erfah­ren die Zuschau­er an diesem Abend nicht. Beim Gendern meint Laschet, man solle doch «Die Tassen im Schrank lassen», aber sensi­bel sein für Menschen, die es berüh­re. Wenn man am Ende aber nicht mehr wisse, was man sagen dürfe und was nicht, führe das nicht dazu, dass das Vertrau­en in den Staat wachse.

Laschet versucht Scholz noch in die Ecke zu treiben, als es um die Links­par­tei geht und die Frage, ob die SPD mit ihr koalie­ren würde. Scholz blieb bei seiner Linie: Ausschlie­ßen tut er nichts, aber ein Bekennt­nis zur Nato, das müsse in jedem Koali­ti­ons­ver­trag stehen «und auch von tiefs­tem Herzen gemeint sein».

Als die drei Kandi­da­ten dann fast am Schluss noch etwas Nettes über den anderen sagen sollen, wird es dann nochmal inter­es­sant, vor allem vor dem Hinter­grund mögli­cher Koali­tio­nen nach der Wahl am 26. Septem­ber. Scholz nennt Baerbock eine «ganz engagier­te Politi­ker», das habe man auch beim Triell gesehen. Man habe ja schon lange und oft gut zusam­men­ge­ar­bei­tet, «und ich hoffe, wir werden einen Weg finden, das auch in Zukunft zu tun». Baerbock sagt über Laschet, sie möge es, «dass man sich in der Sache hart strei­ten kann und trotz­dem, so’n rhein­län­di­sche Frohna­tur, was Boden­stän­di­ges» — das mache Politik auch aus.

Als Laschet dann noch aufge­for­dert wird, was Nettes über Scholz zu sagen, muss der CDU-Mann ganz schön lange nachden­ken. «Er ist lange dabei, hat viel Erfah­rung und hat unter der Führung von Angela Merkel einen ordent­li­chen Job gemacht.» Gut möglich, dass Laschet damit die Taktik von Scholz entzau­bern wollte, sich als die perso­ni­fi­zier­te Fortset­zung merkel­scher Politik zu verkaufen.

Einer ersten Forsa-Umfra­ge für RTL und ntv direkt im Anschluss zufol­ge ging das Rezept nicht auf — 36 Prozent der Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er halten Scholz zumin­dest dieser Schnell­erhe­bung zufol­ge für den Gewin­ner der TV-Debat­te, 30 Prozent Baerbock und nur 25 Prozent Laschet. Doch bis zur Wahl sind es noch vier Wochen.

Von Jörg Blank, Basil Wegener und Carsten Hoffmann, dpa