WASHINGTON/MOSKAU (dpa) — Der Ukrai­ne-Konflikt eskaliert. Die USA stimm­ten sich mit ihren europäi­schen Partnern schon über Sanktio­nen gegen Russland ab. Gelingt es US-Präsi­dent Biden und Kreml­chef Putin, die Krise zu entschärfen?

US-Präsi­dent Joe Biden und sein russi­scher Kolle­ge Wladi­mir Putin wollen heute bei einem Video­gip­fel über die alarmie­ren­den Spannun­gen im Ukrai­ne-Konflikt sprechen.

Vor der Schal­te drohten die USA der Regie­rung in Moskau im Fall einer militä­ri­schen Eskala­ti­on mit schwer­wie­gen­den Konse­quen­zen. Die Kosten würden sehr hoch ausfal­len, «sollte Russland sich für ein solches Vorge­hen entschei­den», sagte ein US-Regie­rungs­ver­tre­ter. Dann müsse Putin mit «erheb­li­chen wirtschaft­li­chen Gegen­maß­nah­men sowohl der Europä­er als auch der Verei­nig­ten Staaten» rechnen.

«Um es klar zu sagen: Wir wissen nicht, ob Präsi­dent Putin eine Entschei­dung über eine weite­re militä­ri­sche Eskala­ti­on in der Ukrai­ne getrof­fen hat. Aber wir wissen, dass er die Kapazi­tä­ten für eine solche Eskala­ti­on bereit­stellt, sollte er sich dazu entschlie­ßen», sagte der US-Regie­rungs­ver­tre­ter weiter. Die USA werfen Russland einen Truppen­auf­marsch unweit der Grenze zur Ukrai­ne vor. Moskau weist den Vorwurf der Aggres­si­on zurück und beschul­digt die Ukrai­ne, mehr als 120.000 Solda­ten an die Linie zu den prorus­si­schen Separa­tis­ten­re­gio­nen Donezk und Luhansk verlegt zu haben.

Der US-Sender CNN berich­te­te, Washing­ton erwäge Sanktio­nen gegen Putins Umfeld und den russi­schen Energie­sek­tor. Eine mögli­che «nuklea­re Option» wäre dem Bericht zufol­ge der Ausschluss Russlands aus dem inter­na­tio­na­len Banken-Zahlungs­sys­tem Swift. Die Spreche­rin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte, Ziel sei, «auf diplo­ma­ti­schem Wege zu vermit­teln, dass dies der richti­ge Moment für Russland ist, seine militä­ri­sche Aufrüs­tung an der Grenze (zur Ukrai­ne) zurück­zu­fah­ren». Zugleich stimm­ten sich die USA mit trans­at­lan­ti­schen Partnern über Sanktio­nen ab, sollte Putin nicht einlenken.

Aufruf zur Deeskalation

Biden beriet sich vor dem Video­gip­fel mit Putin mit europäi­schen Verbün­de­ten: mit Großbri­tan­ni­ens Premier Boris Johnson, Frank­reichs Präsi­den­ten Emmanu­el Macron, der schei­den­den Kanzle­rin Angela Merkel und Itali­ens Regie­rungs­chef Mario Draghi. Die Staats- und Regie­rungs­chefs hätten ihre gemein­sa­me Besorg­nis über «die russi­sche Militär­auf­rüs­tung an der Grenze zur Ukrai­ne und die zuneh­mend schar­fe Rheto­rik Russlands» gespro­chen, teilte das Weiße Haus nach der Schal­te mit. Sie hätten Moskau zur Deeska­la­ti­on aufge­ru­fen und betont, Diplo­ma­tie sei der einzi­ge Weg sei, um den Konflikt zu lösen. Die briti­sche Regie­rung teilte nach der Schal­te mit, die fünf Staats- und Regie­rungs­chefs hätten verein­bart, sich nach Bidens Gespräch mit Putin erneut auszutauschen.

Kurz vor Bidens Schal­te mit Putin sprach US-Außen­mi­nis­ter Antony Blinken wieder­um telefo­nisch mit dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj. Blinken habe dabei die unerschüt­ter­li­che Unter­stüt­zung der USA für die Souve­rä­ni­tät, Unabhän­gig­keit und terri­to­ria­le Integri­tät der Ukrai­ne «angesichts der russi­schen Aggres­si­on» bekräf­tigt, teilte das US-Außen­mi­nis­te­ri­um mit. Biden will nach Angaben aus dem Weißen Haus in den kommen­den Tagen mit Selen­skyj sprechen.

Nato kam zu Sonder­sit­zung zusammen

Am Abend tausch­ten sich die General­stabs­chefs der 30 Nato-Staaten in einer Sonder­sit­zung zu den russi­schen Truppen­be­we­gun­gen unweit der ukrai­ni­schen Grenze aus. Nach Infor­ma­tio­nen der Deutschen Presse-Agentur ging es bei den Gesprä­chen im Militär­aus­schuss des Bündnis­ses unter anderem um die US-Infor­ma­tio­nen, nach denen Russland Vorbe­rei­tun­gen für einen Angriff auf die Ukrai­ne getrof­fen habe.

Details zu den per Video­kon­fe­renz geführ­ten Gesprä­chen wurden von der Nato nicht veröf­fent­licht. In einer Presse­mit­tei­lung hieß es ledig­lich, bei dem Austausch sei es darum gegan­gen, ein gemein­sa­mes Lagever­ständ­nis zu erlan­gen, um das Abschre­ckungs- und Vertei­di­gungs­dis­po­si­tiv des Bündnis­ses zu stärken. Zudem sei es Ziel gewesen, Trans­pa­renz zwischen den Bündnis­part­nern zu fördern und laufen­de Aktivi­tä­ten aufein­an­der abzustimmen.

Russland sieht sich von Nato bedroht

Putin will bei dem Gipfel mit Biden auch über gegen­sei­ti­ge Sicher­heits­ga­ran­tien sprechen, wie Kreml­spre­cher Dmitri Peskow der Agentur Inter­fax zufol­ge sagte. Putin hatte zuletzt die Nato zu einem Ende ihrer Osterwei­te­rung aufge­for­dert und dafür schrift­li­che Garan­tien verlangt. Im Gegen­zug ist Russland demnach auch bereit, dem westli­chen Militär­bünd­nis Sicher­hei­ten zu geben.

Russland sieht sich von einem Vorrü­cken der Nato bedroht und will etwa die Aufnah­me der benach­bar­ten Ex-Sowjet­re­pu­bli­ken Ukrai­ne und Georgi­en in die Allianz verhin­dern. «Die Sicher­heits­ga­ran­tien können nicht einsei­tig sein, das ist offen­sicht­lich», sagte Peskow.

Der Video­gip­fel Bidens und Putins beginnt nach Kreml-Angaben gegen 16.00 Uhr MEZ und dürfte bis in den Abend deutscher Zeit dauern. Sprechen wollen Putin und Biden einmal mehr auch über die seit Monaten laufen­den Verhand­lun­gen über eine neue nuklea­re Abrüs­tungs­in­itia­ti­ve der beiden größten Atommäch­te. Zudem soll es um Cyber­si­cher­heit, das irani­sche Atompro­gramm und weite­re inter­na­tio­na­le Konflik­te gehen. Als Staats­chefs hatten sich die beiden erstmals im Juni in Genf persön­lich getroffen.