KIEW/MOSKAU (dpa) — Der Krieg Russlands gegen die Ukraine könnte in der entscheidenden Phase sein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt Russland den Kampf an — seine Botschaft an seine Landsleute klingt dramatisch.
Nach dem russischen Angriff sieht sich die Ukraine im entscheidenden Kampf um die Hauptstadt Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich in einem neuen Video aus der Hauptstadt Kiew gemeldet und Russland den Kampf angesagt.
Die ukrainische Armee werde die Waffen nicht niederlegen, sie werde sich verteidigen, sagte der übernächtigt wirkende Staatschef auf der Straße in Kiew. Er wünsche «allen einen guten Morgen», sagte er mit einem Lächeln. Er wolle kursierende Falschnachrichten widerlegen, wonach er das Land verlassen habe. «Ich bin hier.» Das Land müsse verteidigt werden. «Ruhm der Ukraine!» Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuvor die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.
Die ukrainischen Streitkräfte meldeten am frühen Morgen Gefechte. Die Behörden in Kiew warnen angesichts des russischen Einmarsches vor Straßenkämpfen in der Hauptstadt. «Auf den Straßen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen. Wir bitten darum, Ruhe zu bewahren und maximal vorsichtig zu sein!», hieß es in der Mitteilung. Wer in einem Bunker sei, solle dort bleiben. Im Fall von Luftalarm sollten die Menschen den nächsten Bunker aufsuchen. Die Stadt veröffentlichte eine Karte dazu.
«Wenn Sie zuhause sind, dann gehen sie nicht ans Fenster, gehen sie nicht auf die Balkone.» Die Menschen sollten sich etwa auch abdecken, um sich vor Verletzungen zu schützen. In Kiew gilt eine Sperrstunde von 22.00 Uhr (21.00 MEZ) bis 07.00 Uhr (6.00 Uhr MEZ) morgens.
Bereits am Freitag drangen russische Truppen an den Rand der Hauptstadt Kiew vor, die auch aus der Luft beschossen wurde. Kämpfe gab es auch um Odessa, Mariupol und andere Städte im ganzen Land.
Aufruf an alle Ukrainer
«Der Feind wird alle seine Kräfte einsetzen, um unseren Widerstand zu brechen», so Selenskyj in einer Videobotschaft auf seinem Telegram-Kanal. «In dieser Nacht setzen sie zum Sturm auf Kiew an.» Er rief alle Ukrainer auf, «den Feind wo auch immer möglich aufzuhalten». Die Bevölkerung sollte alle Markierungen entfernen, die Saboteure an Straßen und Häusern anbringen. «Verbrennt die feindliche Militärtechnik mit allem, was zur Verfügung steht!»
Sollten die Angreifer auch Kindergärten ins Visier nehmen, sollten sie daran gehindert werden, so Selenskyj weiter. «Alle Gebete sind mit unsere Soldaten. Wir glauben an sie. Sorgt für sie!»
Schüsse und Kämpfe am Stadtrand
In der Nacht wurden zunächst vom Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt Schüsse und Kämpfe gemeldet. Russische Truppen versuchten, das Heizkraftwerk Nr. 6 anzugreifen, teilte das Amt für Behördenkommunikation mit. Die ukrainische Armee verteidigte das Kraftwerk.
Am frühen Morgen teilte die Armee mit, russische Truppen hätten eine Kaserne der ukrainischen Streitkräfte im Westen von Kiew beschossen. Der Angriff sei zurückgeschlagen worden. Die Kaserne liegt etwa sieben Kilometer vom Zentrum der Millionenstadt entfernt. Fotos zeigten hellen Feuerschein über der Stelle der Kämpfe. Auf Videos, die in sozialen Netzwerken geteilt wurden, waren Explosionen und Schüsse zu hören.
Russische Luftlandeoperation auf Militärflughafen bei Kiew
Mit einer Luftlandeaktion versuchten russische Truppen dem Anschein nach, den Militärflughafen Wassylkiw südlich von Kiew unter ihre Kontrolle zu bringen. Bei den heftigen Kämpfen seien ukrainische Soldaten getötet und verletzt worden, sagte die Bürgermeisterin der Kleinstadt, Natalija Balassynowytsch, in der Nacht zu Samstag ukrainischen Medien. Es seien viele russische Fallschirmjäger gelandet. «Wir haben Verluste. Wir haben viele Verletzte. Es sind leider 200», sagte sie. Der Luftwaffenstützpunkt liegt etwa 40 Kilometer vom Kiewer Zentrum entfernt.
Bei den Kämpfen um Wassylkiw gab die ukrainische Armee an, eine russische Transportmaschine vom Typ Iljuschin Il-76 mit Fallschirmjägern abgeschossen zu haben. «Rache für Luhansk 2014», schrieb Generalstabschef Walerij Saluschnyj auf Twitter.Die ukrainischen Streitkräfte hatten schon am Freitag immer wieder Verteidigungserfolge gemeldet, unter anderem den Abschuss eines russischen Militärtransportflugzeugs vom Typ Iljuschin Il-76.
Ukrainische Stadt Melitopol übernommen
Russische Truppen melden nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die Kontrolle über die ukrainische Kleinstadt Melitopol im Südosten des Landes übernommen zu haben. Dies teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Morgen mit. Soldaten ergriffen demnach alle Maßnahmen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und «Provokationen durch die ukrainischen Geheimdienste und Nationalisten auszuschließen». Die Stadt liegt in der Nähe des Asowschen Meeres.