SCHARM EL SCHEICH (dpa) — Auf der UN-Klima­kon­fe­renz verspricht der Kanzler, Deutsch­land werde ohne Wenn und Aber aus Gas, Kohle und Öl ausstei­gen und seine Klima­zie­le einhal­ten. Klima­schüt­zer wollen Scholz beim Wort nehmen.

Klima­schüt­zer reagie­ren kritisch auf das Verspre­chen von Kanzler Olaf Scholz, Deutsch­land werde «ohne Wenn und Aber» aus Öl, Gas und Kohle aussteigen.

Dies sei eine «Täuschung der inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit», wenn Scholz gleich­zei­tig Geld für neue Gasfel­der in Afrika bereit­stel­len wolle, die die Klima­kri­se anhei­zen, sagte der geschäfts­füh­ren­de Vorstand von Green­peace Deutsch­land, Martin Kaiser, am Rande der UN-Klima­kon­fe­renz in Ägypten. Wenn der Kanzler sein Bekennt­nis in Scharm el Scheich ernst meine, dürfe kein einzi­ger Euro deutscher Steuer­gel­der mehr in neue Gasfel­der fließen. «Daran wird sich Kanzler Scholz persön­lich messen lassen müssen.»

Vivia­ne Raddatz vom WWF Deutsch­land erklär­te, Scholz distan­zie­re sich zwar von einer «Renais­sance» fossi­ler Energien — doch habe Deutsch­land diese Entwick­lung mit Bemühun­gen um neue Gasquel­len zum großen Teil selbst ausge­löst. Auch der politi­sche Geschäfts­füh­rer von German­watch, Chris­toph Bals, sagte, an seinem Verspre­chen zum Ausstieg aus den fossi­len Energien müsse sich Scholz ab jetzt messen lassen. «Er muss den Weg frei machen für einen Prüfpro­zess, der genau dies sicher­stellt.» Der kurzfris­tig notwen­di­ge Ersatz von russi­schem Gas müsse so organi­siert werden, dass er mit den Klima­zie­len verein­bar sei.

Danach sieht es aber nach Einschät­zung der Wissen­schaft nicht aus: Nur zwei Tage vor dem Start der Beratun­gen in Ägypten hatte der unabhän­gi­ge Exper­ten­rat die deutschen Klima­schutz­be­mü­hun­gen als unzurei­chend abgewatscht — auch wenn die um Nüchtern­heit bemüh­ten Fachleu­te das nie so formu­lie­ren würden. Ihr Fazit: Unwahr­schein­lich, dass Deutsch­land sein Ziel, den Ausstoß an Treib­haus­ga­sen bis 2030 um mindes­tens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, noch schaf­fen kann.

Deutsch­land soll bis 2045 klima­neu­tral werden

In seiner Rede in Ägypten hatte Scholz am Montag­abend unter anderem vor einer «Renais­sance der fossi­len Energien» wie Öl, Gas und Kohle gewarnt. «Für Deutsch­land sage ich: Es wird sie auch nicht geben.» Zuletzt hatten der russi­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne und die damit verbun­de­ne Abkopp­lung von russi­schen Gaslie­fe­run­gen aber dazu geführt, dass die deutschen Kohle­kraft­wer­ke länger am Netz bleiben und die Bundes­re­gie­rung die Erschlie­ßung von Gasfel­dern zum Beispiel in Afrika fördern will.

Bereits im Mai hatte Scholz dem Senegal Unter­stüt­zung bei der Erschlie­ßung eines Gasfel­des vor der Küste verspro­chen. Das kleine Land in Westafri­ka soll zumin­dest einen Teil der Lücke füllen, die durch das fehlen­de Gas aus Russland entstan­den ist.

Der Kanzler bekräf­tig­te in Ägypten überdies das Fernziel, dass Deutsch­land bis 2045 klima­neu­tral werden soll. Das bedeu­tet, dass der Ausstoß von klima­schäd­li­chen Gasen und vollstän­dig durch deren Aufnah­me etwa in Böden, Wäldern oder Ozeanen ausge­gli­chen wird.

«Tropfen auf den heißen Stein»

Kritik übten die Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen auch an Scholz’ Ankün­di­gung, 170 Millio­nen Euro für einen neuen Schutz­schirm für Klima­ri­si­ken zur Verfü­gung zu stellen. Finan­ziert wird dies aus den jährli­chen Mitteln für den Kampf gegen den Klima­wan­del, die bis 2025 von 5,3 auf sechs Milli­ar­den Euro steigen sollen. Dazu sagte WWF-Exper­tin Raddatz: Die Aufsto­ckung auf sechs Milli­ar­den Euro bis 2025 habe bei der letzten COP in Schott­land schon Amtsvor­gän­ge­rin Angela Merkel angekün­digt. «Damit blieben neue Signa­le von Bundes­kanz­ler Scholz aus, die positi­ve Bewegung in die Verhand­lun­gen in Scharm el-Scheich hätten bringen können.»

Von German­watch hieß es dagegen, Deutsch­land etablie­re sich mit den angekün­dig­ten 170 Millio­nen Euro für einen globa­len Schutz­schirm gegen Schäden und Verlus­te als Vorrei­ter unter den Indus­trie­län­dern. Damit sei ein guter Anfang gemacht. «Mit Blick auf die tatsäch­li­chen Schäden und Verlus­te durch die Klima­kri­se ist die Summe aller­dings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.»

Scholz bewirbt «Klima­club»

Am Diens­tag setzen auf der Weltkli­ma­kon­fe­renz die Vertre­ter von rund 200 Staaten ihre Beratun­gen über einen verstärk­ten Kampf gegen die Erder­wär­mung fort. Scholz nimmt am Vormit­tag an mehre­ren hochran­gig besetz­ten Runden teil. Dabei geht es unter anderem um ein geplan­tes Schutz­schild gegen Klima-Risiken und den von ihm angesto­ße­nen «Klima­club», in dem Staaten sich auf Ziele und Standards für klima­freund­li­che­res Wirtschaf­ten verstän­di­gen sollen. Zudem plant der Kanzler bilate­ra­le Gesprä­che mit Staats- und Regie­rungs­chefs von Ägypten, Pakistan, Kolum­bi­en, Kenia und Tadschikistan.

Vor dem Plenum reden am zweiten und letzten Tags des Gipfel­seg­ments zudem erneut Dutzen­de Staats- und Regie­rungs­chefs, unter anderem aus Pakistan, Polen, Südafri­ka sowie Portu­gal und der Europäi­schen Union. Vom ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj, dessen Land einen Angriffs­krieg Russlands abwehrt, wird eine Video­bot­schaft erwar­tet. Der Gipfel dauert bis Ende kommen­der Woche. Vor Ort am Roten Meer sind 45.000 Teilneh­mer registriert.

Am Montag hatte UN-General­se­kre­tär António Guter­res in düste­ren Worten vor den verhee­ren­den Folgen der Erder­hit­zung gewarnt. «Wir sind auf dem Highway zur Klima­höl­le — mit dem Fuß auf dem Gaspe­dal», sagte er.